Der letzte Schritt und danach

Nach zwei schönen Tagen in Köln mit unserem Schulfreund, heißt es für uns, die letzte Etappe unserer Reise anzubrechen. Wir wissen noch nicht ganz sicher, wie lange wir brauchen werden heimzukommen, versuchen es allerdings recht zügig zu machen, da es nachts sehr kalt wird.

Wir stehen bei schönstem Wetter an der Autobahnauffahrt und werden schon nach kurzem Warten von einem jungen Mann mitgenommen. Uns fällt seine dunklere Hautfarbe auf, die auf Wurzeln aus einem anderen Land schließen lassen. Er erzählt uns auch gleich, dass seine Eltern aus Sri Lanka kommen. Er ist 24 Jahre alt und Chef des drittgrößten Bauunternehmens für Flachdachhallen in Deutschland mit über 200 Mitarbeitern! Er hat nie Urlaub und nur einen halben Tag Wochenende pro Woche. Wenn er Glück hat. Nach einer sehr interessanten Fahrt steigen wir aus und warten erneut nur ein paar Minuten, bis uns ein weiterer Geschäftsmann bis kurz vor Frankfurt mitnimmt. An dieser Raststätte warten wir dann fast zwei Stunden, bis es dunkel wird und wir aufgeben. Allerdings machen wir in diesen zwei Stunden eine sehr schöne Bekanntschaft mit einem ungarischen LKW-Fahrer, der auf einmal mit zwei mit Tee gefüllten Tassen vor uns steht und uns diese anbietet. Dankend nehmen wir das heiße Getränk an. Wir sind immer sehr glücklich über solche Dinge. Natürlich, weil es sehr angenehm ist, bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, etwas Warmes zu haben, aber vor allem auch, da man immer wieder vorgeführt bekommt, dass es überall Menschen gibt, die einem helfen. Und das ist etwas, was wir auf der gesamten Reise gelernt haben. Überall, egal wo, sind wir auf offene und hilfsbereite Menschen getroffen. Oftmals erscheint einem die Welt viel dunkler und gefährlicher als sie wirklich ist. Sicherlich gibt es auch Menschen, die Übles im Schilde führen, doch im Gegensatz zu der Zahl der Menschen, die dies nicht tun, ist die Zahl verschwindend gering. Und das ist, finde ich, ein wunderbares Gefühl, das man anderen Menschen weitergeben sollte, damit wir als Gesellschaft, als Menschheit, näher zusammenrücken und auch lernen, uns gegenseitig zu vertrauen.

Noch an diesem Abend spricht uns ein Mann an, der uns noch weitere 30 Kilometer bis kurz nach Frankfurt auf eine Raststätte bringt. Dort schlagen wir uns in den Wald und haben eine recht kurze Nacht. Wir sind beide sehr aufgeregt, da wir glauben, am nächsten Tag heimzukommen. Ohne Ende wirbeln uns Szenarien des Wiedersehens durch den Kopf. Die Nacht ist kalt, doch mit zwei Paar Socken, zwei Paar Hosen, drei Oberteilen und einer Mütze frieren wir nicht. Dennoch möchten wir nicht unbedingt noch eine Nacht im Wald bei unter Null in Begleitung mit Autobahnrauschen verbringen.

Nach rund einer Stunde im Kalten bringt uns ein Mann einige Kilometer weiter, doch den gesamten restlichen Tag ist der Wurm drin. Trotz unseres riesigen Stuttgart-Schildes nimmt uns niemand mit. Auch ein Platzwechsel führt nicht zum Erfolg. Zwar möchten uns immer mal wieder Leute bis ins Zentrum von Mannheim bringen, doch das bringt uns leider nicht so viel auf dem Weg nach Stuttgart und wir lehnen dankend ab. Nach vier Stunden ohne dass uns jemand mitnimmt, obwohl auch Autos mit Kennzeichen aus der Region Stuttgart vorbeikommen, fangen wir an, Leute anzusprechen. Eigentlich fragen wir nie die Autofahrer, ob sie uns mitnehmen möchten, da wir nur bei Leuten mitfahren möchten, die aktiv „Ja“ sagen und uns nicht nur mitnehmen, weil sie nicht „Nein“ sagen können. Wir sind aber so durchfroren und haben es langsam satt, stundenlang im Kalten zu stehen, dass wir sogar anfangen einzelne Fahrer am Eingang des Autobahnrestaurants abzupassen. Doch auch das bleibt erfolglos und wir entscheiden uns dafür, bei der nächsten Gelegenheit ins Zentrum von Mannheim zu fahren. Dafür müssen wir nicht lange warten und schon sitzen wir in einem selbstfahrenden Mercedes und rauschen mit 200 nach Mannheim, wo wir uns schlechten Gewissens in einen Bus setzen und nach Stuttgart fahren.

Und dann sind wir wieder da. Wir werden von Rebeccas Bruder, Samuel, abgeholt und fahren das erste Mal seit zwei Jahren in einer uns fast vollständig bekannten Umgebung nach Hause. Irgendwie ein komisches Gefühl. Schon Wochen vorher haben wir uns überlegt, wie das Heimkommen so sein wird und wie lange wir brauchen werden, um uns neu einzuleben. Noch am selben Abend überraschen wir Rebeccas Vater im Wohnzimmer, denn unsere Familien waren darauf eingestellt, dass wir erst eine Woche später ankommen würden. Wir sitzen am Esstisch und essen zu Abend wie eh und je. Wir haben uns auch etwas überlegt, um Rebeccas Mutter und meine Mutter zu überraschen: Am nächsten Morgen, es ist der 6.Dezember, stehe ich im Weihnachtsmannkostüm und Rebecca versteckt in einem Umzugskarton im Wohnzimmer. Rebeccas Mutter hat die Nacht im Nachbarzimmer verbracht, ohne zu wissen, dass wir beide nur wenige Meter entfernt auch schlafen. Die Überraschung gelingt, auch wenn ich trotz des Kostüms gleich erkannt werde. Nach dem Frühstück fahren wir zu mir nach Hause und ziehen eine ähnlich Nummer ab, welche fast noch ein bisschen besser gelingt, da ich nicht gleich erkannt werde. Aber es ist sehr schön, seine Lieben, gerade auch meinen Bruder, nach so langer Zeit mal wieder in den Arm zu schließen. Dennoch ist es komisch, wieder Zuhause zu sein. Es hat sich eben kaum etwas verändert. Wir beide haben das Gefühl, dass die Zeit während unserer Reise hier stehen geblieben ist und mit unserer Ankunft wieder weiterläuft. Wir sind einerseits froh, wieder zurück zu sein, da das Leben in einem festen Haus ohne Verpflichtungen gegenüber anderen seine Vorzüge hat, man aber auf der anderen Seite Gefahr läuft, in kürzester Zeit, in ein aus meiner Sicht gefährliches Hamsterrad gerät. Während des Reisens, so wie wir es die letzten zwei Jahre gemacht haben, ist man immer abhängig von Anderen, oder muss sehr viel Rücksicht auf Andere nehmen. Sei es, dass man davon abhängig ist, beim Trampen mitgenommen zu werden, man in den fremden Autos Rücksicht nimmt, oder man sich über Couchsurfing immer mit dem Gastgeber absprechen sollte. Hier Zuhause muss man natürlich auch in einem gewissen Rahmen Rücksicht nehmen, allerdings hat man doch mehr Freiheiten, denn man kann zum Beispiel kommen und gehen wie man möchte und muss zumindest in dieser Hinsicht kaum Rücksicht nehmen. Allerdings verändert sich dafür nicht tagtäglich etwas und man macht nicht ständig neue Erfahrungen.

Jetzt werden wir die nächsten Wochen mal sehen, wie gut wir hier reinfinden. Bis jetzt haben wir noch keine größeren Schwierigkeiten, was vielleicht auch daran liegt, dass gerade unsere chilenische Freundin über Weihnachten zu Besuch ist und wir ansonsten auch noch einige Dinge zu tun haben und uns nicht langweilig wird. Außerdem steht ja bereits die nächste kleine Reise im Sommer durch Europa bevor und ich bin mir für mich sicher, dass ich auf jeden Fall nochmal eine ähnlich lange oder gar längere Reise machen möchte. Die Welt ist einfach zu spannend und ich zu neugierig, als dass ich mein Leben im Hamsterrad verbringen möchte, während überall um mich herum spannende Menschen, Orte und Geschichten greifbar sind.

Wir wissen noch nicht ganz sicher, ob dies nun der letzte Blogbeitrag sein wird, ob wir in ein paar Wochen nochmal ein Update machen, oder ob wir auch über unseren Trip durch Europa berichten sollen. Falls ihr Vorschläge, Anregungen oder Wünsche hättet, was ihr gerne auf unserem Blog lesen möchtet, lasst es uns wissen! 🙂

In diesem Sinne wünschen wir euch allen schöne und erholsame (Weihnachts-)Tage und einen wunderschönen Beginn des neuen Jahres!

Liebe Grüße von Zuhause,

Rebecca und Johann

(Johann)

Über Kopenhagen und Berlin nach Köln

Es ist das erste Mal für mich auf einer großen Fähre, die über Nacht fährt. Um 16:30 Uhr legen wir in Oslo ab. Es wird schon langsam dunkel und wir beobachten vom Deck das immer größer werdende Lichtermeer Oslos, während sich die Fähre langsam auf den Weg Richtung Kopenhagen macht. Bald sehen wir von der Reling aus nur noch etwas, wenn es beleuchtet ist. Wir haben unsere eigene Kabine, die für alle Fährreisenden Pflicht ist. Als wir ein paar Stunden später den Fjord hinter uns lassen, beginnt die Fähre langsam, hin- und herzuschaukeln.

Am nächsten Morgen gehen wir gespannt an Deck – und werden von einer grauen Suppe begrüßt. Die Wolken hängen tief, vom nicht allzu weit entfernten Land sieht man nichts. Ein bisschen enttäuscht gehen wir wieder ins Warme und Trockene und setzen uns vor ein Fenster. Sehnsüchtig beobachten wir die Leute, die zum Frühstücksbuffet gehen. „Das wär‘ jetzt was.“, denken wir uns. In diesem Moment werden wir von einem Mann, der uns auf Dänisch anspricht, aus unseren Träumereien gerissen. Zurückhaltend wiederholt er seine Frage auf Englisch, ob wir schon gegessen hätten, er hätte ein Ticket fürs Frühstücksbuffet zu viel gekauft, ob wir es nehmen wollten. Ein bisschen hilflos und als sei ihm die Frage peinlich, steht er mit dem Ticket in der Hand vor uns. Er scheint froh zu sein, als wir es dankend und grinsend annehmen und entschuldigt sich dann auch noch, dass er nur eins hat!

Nachdem Johann sich das Frühstück hat schmecken lassen (und mir ein bisschen Obst herausgeschmuggelt hat) beobachten wir das Anlegen der Fähre. Jetzt sind wir also wieder in der EU. Wir machen uns auf den Weg zu Hubert, der uns die nächsten zwei Nächte über Couchsurfing aufnimmt, dann gehen wir die Stadt ein wenig erkunden. Was sofort auffällt in Kopenhagen sind die vielen Fahrräder. Überall gibt es Fahrradwege und Fahrradständer. Kopenhagen gehört zu den besten Fahrradstädten der Welt.

Am Abend holen wir Hubert an seiner Arbeitsstelle ab und machen uns mit ihm auf den Weg nach Christiania, einem alternativen Viertel, dass auch für seine Drogenaktivität berühmt ist. Ein „Fotografieren verboten“ – Schild und der Geruch von Cannabis begrüßen uns, als wir auf der Straße zwischen den vielen kleinen Ständen unter einem Lampionhimmel in eine andere Welt eintreten. Auf jedem Tischchen stehen Tüten verschiedenster Arten der wertvollen Pflanze. Hubert hat seine Freunde, bei denen er immer kauft. So auch heute. Das Angbot, auch mal zu ziehen, lehnen wir dankend ab. Wir kennen den Geschmack inzwischen beide und ziehen den Geruch auf jeden Fall vor. Auf unsere Nachfrage, wie das mit der Polizei funktioniere, antwortet Hubert, dass rund um die Eingänge Leute postiert seien, die Alarm schlagen, sollten sich Polizisten nähern. In Windeseile würde dann alles eingepackt und bis die Polizisten da wären, kann man niemandem mehr nachweisen, was er hier tut. Allerdings überlege man auch, ob man das ganze Gelände kaufen sollte. Dann wäre das gesamte Gelände Privatbesitz und für die Polizei schwieriger einzugreifen.

Wir gehen noch ein bisschen gemeinsam durch die Stadt, setzen uns in eine Bar und hören ein bisschen Live-Musik. Wir fühlen uns wohl in Kopenhagen. Es ist eine lockere und entspannte aber auch sehenswerte Stadt. Seit langem mal wieder essen wir richtiges Gebäck. Brötchen, süße Stückchen, Croissants, Brot und dazu ein Stück Brie. Wir sind im Schlaraffenland und können kaum genug bekommen.

Nach zwei Tagen machen wir uns wieder auf den Weg. Mit den Flixbus geht es raus aus Kopenhagen, dann beginnen wir zu trampen. Ein junges Paar nimmt uns bis Gedser mit, noch ehe wir einen guten Platz zum Trampen gefunden haben. Ich halte nur während dem Laufen den Daumen raus und sie halten. Von Gedser aus ist es nur noch eine zweistündige Fährfahrt bis Deutschland. Wir versuchen trampend auf die Fähre zu kommen, was jedoch nicht gelingt. Es sind nur sehr wenige Autos, die auf die Fähre fahren. Und so entscheiden wir, als es um 16:30 Uhr schon dunkel ist, in einem kleinen Waldstück unser Zelt aufzuschlagen. Sonderlich dicht ist es nicht, man würde uns bei Dämmerung sofort von einem der Waldwege aus sehen. Aber große Gedanken machen wir uns deshalb nicht. Hier läuft niemand mehr bei Dunkelheit durch den Wald, anders als in Teilen Lateinamerikas. Tatsächlich bekommen wir am Abend aber doch noch Besuch. Wir liegen gerade im Zelt und unterhalten uns, da bellt es plötzlich ein Stück neben uns. Gespannt halten wir die Luft an. „Hoffentlich führt der Hund sein Herrchen nicht zu uns!“, denke ich, da ertönt das Bellen wieder. Ich muss grinsen und schaue Johann an. Es ist kein Hund. Dieses Geräusch haben wir schon einmal gehört. Damals saßen wir bei Nacht auf einer Wiese am Waldrand. Es ist ein Reh. Wahrscheinlich hat es uns gerochen oder gehört, jedenfalls scheinen wir, bzw. das Zelt ihm nicht geheuer zu sein. Es hört sich an, als sei es recht nah, als ich jedoch mit der Taschenlampe rausleuchte, sehe ich es nicht. Es bellt noch ein paar Mal, dann wird es still. Etwas später in der Nacht schaut es nochmals vorbei.

Am Morgen stehen wir mit der Sonne auf und versuchen noch einmal unser Glück mit dem Trampen, um eventuell schon vor der Fähre eine Mitfahrgelegenheit Richtung Berlin zu ergattern – wieder ohne Erfolg. Wir gehen also zu Fuß auf die Fähre und hoffen, bei der Ankunft am Hafen noch ein paar Autos abpassen zu können. Ich werde ein bisschen nervös, als wir in den Rostocker Hafen einlaufen. Jetzt sind wir also wieder in Deutschland. Das ging letztendlich doch ziemlich schnell. Wir werden von einem großen Kohlekraftwerk begrüßt, das seinen grauen Dreck in den Himmel bläst. Als wir das Schiff endlich verlassen können, sind alle Autos schon weg. Wir müssen also zur Autobahnauffahrt laufen und dort unser Glück versuchen. Nach etwa einer Stunde hält ein LKW mitten auf der Straße. Aus dem Fenster ruft er uns zu, dass wir uns beeilen müssen. Wir sind dabei…

Es ist sehr spannend, wieder in einem LKW mitzufahren und einen Vergleich zu den lateinamerikanischen LKWs, den Fahrern und deren Geschichten zu bekommen. Mehrere Stunden lang fahren wir Richtung Berlin, werden mit Twix gefüttert und unterhalten uns über Entführungs- und Überfallgeschichten, die wir von mexikanischen Fahrern erzählt bekommen haben, während der LKW-Fahrer uns eigens erlebte Geschichten aus Spanien und Italien erzählt. An einer Raststätte trennen sich schließlich unsere Wege.

Wenig später werden wir von einem Soldaten eingesammelt. Er muss nach Leipzig, hat aber Mitgefühl mit uns, weil der LKW-Fahrer uns eine Raststätte zu spät rausgelassen hat und hier kaum jemand hält, der nach Berlin möchte. Er fährt uns ein Stück auf die Bundesstraße, die direkt nach Berlin hineinführt. Nun haben wir nicht mehr viel Zeit, bis es dunkel wird. Wir sehen uns schon nach einem Zeltplatz um, während wir trampen und wollen gerade aufgeben, weil man uns nur noch schwer erkennen kann, da hält eine junge Frau. Sie fährt zwar nur ein paar Kilometer weiter, dort gibt es aber einen Bahnhof und da wir nicht mehr weit von Berlin weg sind (20 Km.) haben wir die Hoffnung, dass von dort eine S-Bahn nach Berlin fährt. Doch als wir am Bahnhof ankommen, gibt es nicht einmal einen Fahrkartenautomat. Wir beschließen also, in einem kleinen Waldstück zu zelten. Doch vorher müssen wir noch etwas erledigen. Ich setze mich auf mache es mir auf meinem Rucksack bequem, während Johann loszieht. Nur wenig später kommt er mit dem erhofften Abendessen zurück: Döner. Das haben wir, neben Brot und Käse, sehr vermisst. Schon bevor wir in Deutschland ankamen, haben wir uns vorgenommen, so bald wie möglich einen Döner zu essen. Auf unseren Rucksäcken an einer Ampel sitzend genießen wir das lang ersehnte Mahl. Mit gefüllten Mägen suchen wir uns anschließend ein Plätzchen für unser Zelt.

Am nächsten Morgen laufen wir die sieben Kilometer zu der nächsten S-Bahn-Haltestelle, welche mit inzwischen 20 und 25 Kilo schweren Rucksäcken doch recht anstrengend sind. Angekommen am Hauptbahnhof setzten wir uns mit unserem Gastgeber über Couchsurfing in Kontakt, der in einem Hotel arbeitet und uns in seine Wohnung lässt, um die Rucksäcke abzustellen. Danach fahren wir ins Zentrum und spazieren ein wenig herum. Wir schlendern um den Bundestag, das Kanzleramt und das Brandenburger Tor. Uns fällt auf, wie viele Menschen mit nichtdeutschen Wurzeln in Berlin leben. Es ist uns schon in Oslo und Kopenhagen aufgefallen, die Städte sind bunt, auf eine ganz andere Art als in Lateinamerika, wo die Kleidung und oftmals auch die Gebäude und Musik die Buntheit prägt. Hier sind es nicht die Kleider sondern die vielen verschiedenen Gesichter. Es ist schön zu sehen, wie vielfältig Europa und auch Deutschland ist.

Erst spät am Abend kommen wir heim, da wir noch keinen Wohnungschlüssel haben. Wilhelm, unser Gastgeber, erzählt von seiner Arbeit und dem ganzen damit verbundenen Chaos. Er hört gar nicht mehr auf zu reden und möchte von Zwischenbemerkungen und Erfahrungen unsererseits kaum etwas wissen. Mit gemischten Gefühlen gehen wir schließlich schlafen.

Wir stehen relativ spät auf und verlassen die Wohnung gen Zentrum, wo wir ein DDR-Museum und die Gedenkstätte „Berliner Mauer“ besuchen. Gegen Nachmittag machen wir uns auf den Weg nach Kreuzberg, wo eine Freundin von mir wohnt, die wir besuchen. Wir haben einen sehr schönen Abend mit der Familie und ein wunderbares Abendessen.

Am nächsten Morgen besuchen wir eine Plenarsitzung im Bundestag. Wir haben uns schon ein paar Wochen vorher angemeldet und sind ein bisschen aufgeregt, freuen uns aber riesig. Nach der Sichereitskontrolle dürfen wir das hohe Haus betreten und noch einen Moment warten, bis wir auf die Besuchertribüne dürfen. Wir haben richtig Glück, es ist Haushaltswoche und deshalb sind sehr viele der hochrangigen Politiker anwesend. Gerade hat Angela Merkel ihre Rede beendet, da dürfen wir rein und Christian Lindner (FDP) zuhören, der, mal abgesehen von der etwas anderen politischen Meinung unsererseits, ein sehr guter Redner ist. Danach bekommen wir noch die Reden von Rolf Mützenich (SPD), Dietmar Bartsch (LINKE) und Anton Hofreiter (GRÜNE) mit, bevor auch wir den Saal wieder verlassen müssen. Es ist beeindruckend, bei einer solchen Sitzung dabei sein zu können und all die Politiker, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt, einmal live zu sehen. Uns wird klar: Als Regierung, insbesondere aber als BundeskanzlerIn muss man ein dickes Fell haben. Niemand ist zufrieden mit dem, was beschlossen wurde, es kommt Kritik und Missachtung von allen Seiten. Es ist spannend zu sehen wie Politik ganz real funktioniert, ein Gefühl der Bewunderung kommt in einem auf, für die Menschen, die tagtäglich für ihre eigene und die Meinung ihrer Wähler streiten, die Politik machen in diesem Land. Aber da sind natürlich auch die eigenen Interessen, auch wir hätten einiges an dem Haushalt auszusetzten, auch wenn wir von den verschiedenen Reden nur eine kleine Idee von dem bekommen, was da erarbeitet wurde. Dazu kommt, dass einem deutlich wird, wie träge und zäh die Politik ist, in Anbetracht der Tatsache, wie lange es braucht, bis ein Gesetz verabschiedet wird.

Nach unserem Besuch im Bundestag spazieren wir zum naheliegenden Holocaust-Denkmal, welches uns beide sehr beeindruckt. Vor allem wegen dem sehr interessanten und sehr gut aufgebauten Museum, das darunter liegt. Der Holocaust wird nicht nur anhand einer Timeline erklärt, sondern auch an ganz greifbaren Beispielen verdeutlicht. Tagebuchaufschriebe und Briefe jüdischer Verfolgter, die sich darin von ihren Familien verabschieden, Geschichten mehrerer Familien, Fotos und Tonaufzeichnungen von KZ-Überlebenden treiben dem ein oder anderen die Tränen in die Augen. Es ist jedes Mal aufs Neue schrecklich und erschütternd, sich die Grausamkeiten des Nationalsozialismus vor Augen zu führen und doch so wichtig. Man muss sich dessen bewusst werden, was da passiert ist und sich sensibilisieren, damit sich so etwas nie wieder wiederholen kann. Ganz schön geschafft verlassen wir das Museum und das Denkmal. Für heute haben wir genug Information bekommen und müssen erstmal alles sacken lassen. Wir machen uns auf den Weg in ein Büchergeschäft, in dem wir eine Weile herumstöbern und ich ich schließlich für ein Buch, in dem es um den Nationalsozialismus geht, entscheide.

Wilhelm schläft wenig und arbeitet sehr viel. Am Abend sehen wir ihn nicht mehr, weil er so spät nach Hause kommt und das, obwohl wir in einem Zimmer schlafen. Als wir am nächsten Morgen aufstehen, ist er bereits am Arbeiten. Wir besichtigen nochmal die Gedenkstätte an der Berliner Mauer. Hier stoßen wir auf die Gruppe von Trickbetrügerinnen, vor denen die Polizei warnt und die uns schon zwei Tage zuvor an der gleichen Stelle angesprochen haben. Mit Zetteln und der Frage nach Unterschriften für angeblich soziale Projekte, versuchen sie einem dabei Wertgegenstände aus den Taschen zu entwenden. Johann kann es nicht lassen und muss ihnen seine Meinung dazu kundtun. Auf sein „Geht arbeiten und hört auf, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen!“ antwortet eines der minderjährigen Mädchen nur „Halt die Fresse!“ und verzieht sich.

Mit der Berliner Mauer verbinden wir den Besuch des Tränenpalasts, Ort der Ausreise für DDR-Bürger, denen die Ausreise genehmigt worden war. Meist war dies insbesondere ein Ort der Trennung auf unbekannte Zeit von Familie und Freunden, denn viele der wenigen Menschen, die diese Möglichkeit bekamen, nutzten ihre Ausreiseerlaubnis für eine Flucht in die Bundesrepublik. Wegen der vielen Tränen des Abschieds bekam das Gebäude schon damals den Namen Tränenpalast. Wie schon vorher an der Mauer kann man kaum nachvollziehen, wie das damals gewesen sein muss und während man vom ehemaligen Ost- ins ehemalige Westberlin hin- und herläuft, wechseln sich das beklemmende Mitgefühl für die Menschen damals mit dem Gefühl und der Dankbarkeit für die Freiheit heute ab. In einer kleinen Ausstellung im Forum Willy Brandt, sehen wir uns die Geschichte ab Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Mauerfall in Miniaturform an. In fünf Vitrinen spielt sich die Wandlung an einer fiktiven Straßenkreuzung in Berlin ab, dargestellt mit Miniaturfiguren, -Gebäuden und -Fahrzeugen, überall mit kleinen Details.

Nach einem weiteren gelungenen Tag kehren wir relativ früh zur Wohnung zurück. Wir wollen für Wilhelm kochen und mit ihm gemeinsam zu Abend essen. Die kleine französische Buldogge Kivi ist auch mit von der Partie. Auf sie passt er ab und zu auf. Wir verstehen uns zunehmend besser mit Wilhelm und haben sehr gute Gespräche. Er hatte die letzten Tage sehr viel zu tun und erschien uns vielleicht deswegen etwas unangenehm. Außerdem scheint er sich im Umgang mit anderen Menschen manchmal etwas schwer zu tun und tritt deshalb immer wieder in das ein oder andere Fettnäpfchen, so hört es sich zumindest in seinen Erzählungen an. Aber wir bekommen auch immer mehr den Eindruck, dass er eigentlich ein herzensguter Mensch ist, der leider immer wieder ausgiebig von anderen ausgenutzt wird.

Es ist Freitag. Black Friday. Und alle versprechen, unglaubliche Rabatte anzubieten. Wir möchten uns das mal anschauen und vielleicht können ja auch wir einen guten Laptop finden. Im Laufe der Zeit haben wir uns überlegt, ein Buch über unsere Reise zu schreiben. Ob es spannend genug für andere ist, wird sich zeigen aber wir wollen auch für uns etwas in Form eines Buches von der Reise haben. Also stehen wir rechtzeitig zur Öffnung vom Saturn vor den Türen. Mit uns gut 500 andere. Um 10:00 Uhr gehen die Türen auf. Wir können es kaum glauben. Wie wenn es um Leben und Tod ginge, stürmen alle in diesen Laden. Alle vier Rolltreppen sind in eine Richtung, nach oben, geschaltet. In allen erwacht der Kapitalist. Jeder sichert sich das Gerät, auf das er schon so lange gewartet hat. Viele davon sind gar nicht heruntergesetzt. Egal. Es ist Black Friday. Wir drücken uns an den Laptops entlang, doch wirklich heruntergesetzt sind nur wenige. Oftmals klebt ein Rabattschild auf dem normalen Preisschild und wenn man darunterschaut, steht da der gleiche Preis, wie auf dem Rabattzettel. Es wird uns bald zu viel und wir verlassen den Laden. Hier wird einem ziemlich schnell bewusst, welches System nach dem Fall der Mauer gesiegt hat. Wir gehen dann doch lieber zu Fridays for Future und gesellen uns zu den 60.000 Demonstrierenden.

Am Nachmittag kommen wir zurück und packen unsere Sachen, denn es wird weitergehen. Wir kochen am Abend erneut und verstehen uns prächtig mit Wilhelm, der irgendwie zu einer Art Freund geworden ist. Die Nacht über ist er jedoch nicht zuhause, denn er ist mit seiner Ex-Freundin im Club. Wir als Partymuffel schlafen dann doch lieber, um am nächsten Morgen fit für die Weiterreise zu sein. Außerdem haben wir die Aufgabe, auf Kivi aufzupassen, der aufgrund seiner platten Mopsnase unglaublich laut schnarchend neben mir im Bett schläft.

Von Wilhelm können wir uns nicht mehr verabschieden, er kam erst früh am Morgen wieder zurück, wir verlassen die Wohnung also so leise wie möglich und machen uns mit der S-Bahn auf den Weg nach Wannsee, von wo aus wir lostrampen möchten. Wir hatten eine richtig gute Zeit in Berlin. Die deutsche Geschichte ist dort besonders greifbar, viele Museen sind kostenlos und geben tiefe Einblicke in die Geschichte. Tatsächlich gehört Berlin mit beispielsweise Mexiko-Stadt oder La Paz zu den wenigen Städten, die wir lieben gelernt haben und in die wir jederzeit wieder gehen würden.

Wir stehen mit unserem überdimensionalen „Köln“-Schild an der zweispurigen Autobahnauffahrt. Die linke wird nicht befahren, also könnte man da halten. Aber wir müssen bald feststellen, das es sehr selten vorkommt, dass da jemand anhält. Die Leute halten es für zu gefährlich oder verstehen gar nicht, wo sie überhaupt halten sollen. Nach etwa vier Stunden wechseln wir unseren Platz, der jedoch auch nicht besser zu sein scheint. In Lateinamerika wären es perfekte Orte gewesen, hier sind sie sehr schlecht. Als es langsam zu dämmern beginnt, geben wir auf. Wir gehen in ein kleines Waldstück neben der Autobahn und bauen unser Zelt auf. Ich muss mich an unsere gemeinsame Wanderung nach dem Abi im Schwarzwald und an die Woche trampen durch Frankreich erinnern. Was hatten wir damals für Angst, entdeckt zu werden. Ein Ort wie dieser hier wäre damals undenkbar als Zeltplatz gewesen. Von der Autobahauffahrt würde man uns von einem Bus oder LKW aus sofort entdecken und auch aus den Fenstern der Häuser auf der anderen Seite könnte man uns bei genauerem Hinsehen erkennen. Aber es ist schnell und lange dunkel und selbst wenn wir gesehen werden, kann man ja mit den Leuten reden.

Am nächsten Morgen versuchen wir es ein paar hundert Meter an der Stelle von gestern Abend. Doch heute, Sonntag, 1. Dezember und erster Advent, ist nicht gerade viel los und die graue und feuchte Kälte lässt uns bald frieren. Wir sind frustriert und unsere Motivation sinkt minütlich. Die Kälte, die riesigen Autobahnen, die für hiesige Verhältnisse schlechten Stellen zum Trampen stimmen uns nicht gerade freudig. Ein älterer Herr am Stock wünscht uns einen schönen ersten Advent und meint noch: „Die Leute halten nicht mehr so wie früher, aber nicht aufgeben!“ Leichter gesagt als getan. Blablabus fährt für 10€ von Berlin nach Köln. Verlockend. Aber wir können wirklich noch nicht aufgeben. Bis heute Nachmittag versuchen wir es noch, beschließen wir. Wenn wir bis dahin nichts haben, nehmen wir morgen den Bus. Wir fahren mit unserem Wochenticket mit der S-Bahn an die Messe, an der es eine Autobahn-Rastätte gibt. Da ist allerdings tote Hose. Wir stellen uns an einen Zubringer auf die Autobahn auf die wir wollen. Es ist wieder ein durchgezogener Seitenstreifen aber etwas Besseres können wir bei bestem Willen nicht finden. Wir bräuchten eine große Parkbucht, da würden die Leute halten aber hier können wir nur hoffen, dass wir Glück haben und irgendjemand sich traut anzuhalten. Wir haben unglaubliches Glück. Fünfzehn Minuten nachdem wir unsere Posten bezogen haben, hält ein Mann und nimmt uns mit zu einer Autobahnraststätte. Er selbst ist in seiner Jugend viel getrampt und kann deshalb nicht an uns vorbeifahren. Mit dem Trampen an Raststätten haben wir noch nicht viel Erfahrung und wir sind etwas skeptisch, wie gut es wohl funktioniert. Doch tatsächlich ist, sobald wir auf der Autobahn sind, wie ein Schalter umgelegt. Es läuft wie geschmiert. Tatsächlich hat man das Gefühl, dass die Leute eigentlich halten wollen, sich aber bezüglich des Ortes, an dem sie halten können, extrem unsicher sind. Nur wenig später sintzen wir bei einer sympathischen jungen Frau im Auto, die begeistert unseren Erzählungen zuhört. Es ist schade, sich schon nach 100 Km. wieder von ihr verabschieden zu müssen. Nur ein paar Minuten später brausen wir mit zwei Frauen mit 160-180 Km/h bis Düsseldorf und sind plötzlich nur noch 40 Km. von Köln und von unserem Wiedersehen mit unserem Schulfreund Julius entfernt. Da wir mitten in der Stadt landen, sehen wir vom Zelten ab und gehen in ein günstiges Hotelzimmer, das sogar groß genug ist, unser Zelt zu trocknen.

Auf dem Weg zum Bahnhof werden wir von einem Mann angesprochen, ob wir kein Zuhause hätten. Verwundert antworten wir: „Nein, also doch, eigentlich schon, wir sind gerade auf Reisen.“ „Sehen wir wirklich so schlimm aus?“, fragen wir uns. Wahrscheinlich wird es wirklich langsam Zeit, nach Hause zu kommen. Gestern hatte uns schon ein junger Mann eine Tüte Brötchen am Bahnhof geschenkt. Heute kommt er wieder, während wir auf den Zug warten und bietet uns eine Cola an. Dieses Mal lehnen wir dankend ab. Jemand anderes wird es dringender brauchen. Wir nehmen einen Flixtrain nach Köln, da die S-Bahn viermal so viel kostet (12€ für 20 Minuten Fahrt). Mal wieder fragen wir uns kopfschüttelnd, wie man nur von Leuten verlangen kann, auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen, wenn die Preise so aussehen.

Nur wenig später treffen wir Julius, lassen uns von ihm Köln zeigen, wobei wir eigentlich gar nicht viel von der Stadt sehen, weil wir viel mehr mit Reden beschäftigt sind. Wir gehen gemeinsam essen und spielen Karten bis weit nach Mitternacht.

Ganz liebe Grüße aus Köln und danke an euch wenigen, die immer noch unseren Blog lesen und sich interessieren. Der nächste Text wird erst veröffentlicht werden, wenn wir wieder zurück sind.

Wir freuen uns, euch alle bald wiederzusehen!

Johann und Rebecca

(Johann&Rebecca)

Norwegen – Ein weiterer Schritt auf unserer Heimreise

Wir fliegen in Richtung Bergen. Wir haben uns aus verschiedenen Gründen für einen Flug nach Bergen entschieden, obwohl der Hof, auf dem wir sein werden, im Osten des Landes ist. Der erste ist, dass Bergen von Island aus, fast der nächste Punkt auf dem europäischen Festland ist. Wir möchten ja nach wie vor kleine Schritte machen. Der zweite Aspekt ist, dass wir somit die Möglichkeit haben, auf einer der wohl schönsten Zugstrecken Europas einmal quer durch den Süden zu fahren, und der dritte Punkt ist, dass ich von vergangenen Norwegenurlauben Bergen als recht schöne Stadt in Errinnerung habe.

Schon viele Kilometer vor der Küste kann man einige Ölplattformen im Meer erkennen. Irgendwann tauchen unzählige kleine Inselchen auf. Wir machen eine Kurve und fliegen nun immer tiefer über Häuser und Straßen. Die Sonne strahlt und der Himmel ist blau. Nicht schlecht dafür, dass Bergen mit 250 Regentagen pro Jahr, die regenreichste Stadt Europas ist. Vom zweitgrößten Flughafen Norwegens, der dennoch aus nur einer sehr hügeligen Landebahn besteht, fahren wir mit der Bahn ins Zentrum. Wie ist das schön! Das Wetter und dann auch noch ein bisschen Bahnfahren. Das letzte Mal, dass wir in einer Bahn saßen, war in Mexiko-Stadt!

Wir haben über Couchsurfing bestimmt 40 Leute in Bergen angeschrieben, jedoch nur Absagen oder keine Antwort erhalten. Das ging schon deutlich einfacher. Einer sagt uns jedoch zu, der sich dann den gesamten Tag allerdings nicht mehr meldet. Wir gehen etwas einkaufen, setzen uns auf eine Bank neben dem Fischmarkt und dem bekannten Bryggen und essen zu Abend. Es gibt Kartoffelsalat, der gefühlt zu 90 Prozent aus Majonnaise besteht, selbstgebackenes Brot und Schokoladenaufstrich. Es wird langsam dunkel und wir wissen immer noch nicht, wo wir schlafen können. Wir suchen im Internet nach Möglichkeiten, die uns jedoch entschieden zu teuer sind. Also gehen wir zum Bahnhof, setzen uns auf eine Bank und überlegen. Wir haben noch immer kein Ticket für den Zug nach Oslo, da wir ohne Couchsurfing vielleicht doch schon einen Tag früher los wollen, die Frau von dem Hof sich aber nicht meldet. Wir überlegen, ob wir bei den Schließfächern schlafen sollen, oder auf dem Boden im Bahnhofsgebäude in einem Eck. Wir wollen eine einigermaßen gute Nacht und fragen einen Sicherheitsbeamten, ob wir im Bahnhof schlafen dürfen, der uns jedoch antwortet, dass er uns wecken wird, wenn wir einschlafen sollten. Das war wohl nix! Wir überlegen im angrenzenden Park hinter die Büsche zu gehen und dort zu schlafen, aber das ist uns zu offensichtlich. Irgendwannn entschließen wir, auch weil wir die ganze Nacht nicht wach bleiben wollen, in ein Hotel zu gehen, was tatsächlich die günstigste der teuren Möglichkeiten ist. Als wir vor dem Eingang stehen, meint Rebecca, dass sie die Straße noch ein Stück weiter läuft, um herauszufinden, ob sich ein anderer Park, den sie auf einer Karte gesehen hat, lohnt. Ich gehe währenddessen durch durch die Tür und anstatt auf eine Rezeption zu stoßen, stehen auf einmal vier Automaten zum selbst einchecken vor mir. Es geht nur mit Online-Reservierung, worauf ich keine Lust habe und entscheide, nicht in dieses Hotel zu wollen. Schnellen Schrittes verfolge ich Rebecca und hole sie kurz vor dem Park ein. Es ist ruhig und dunkel. Genau richtig! Wir finden eine ruhige Stelle neben einem Baustellenzaun, der einen Teil des Parks absperrt und breiten unsere Isomatten und Schlafsäcke aus. Zum Glück regnet es nicht. Als wir da liegen raschelt es hinter uns und ein Mann mit Plastiktüte und Rauschbart erscheint hinter uns, der auch gleich weitergeht, als er uns auf dem Boden liegen sieht. Er scheint nicht mehr aus dem abgesperrten Bereich herauszukommen. Kurz bevor wir beide einnicken, stellen sich zwei Jugendliche neben uns und beginnen zu kiffen. Vermutlich weil das der dunkelste Platz im Park ist. Ansonsten bleibt die Nacht ruhig und wir machen am Morgen ausgeschlafen bei Vogelgezwitscher auf. Das hatten wir auch schon lange nicht mehr! Was für eine tolle Erfahrung. Man schläft ja nunmal nicht jeden Tag in einem Stadtpark unter freiem Himmel!

Gleich nach dem Aufstehen finden wir eine im Vergleich supergünstige Übernachtungsmöglichkeit bei einem Somalier, Abdi, über AirBnB und bringen unsere Rucksäcke bei ihm vorbei. Den Tag über schlendern wir in der sehr schönen Stadt umher. Mit knapp 300 000 Einwohnern ist Bergen die zweitgrößte Stadt in Norwegen, erscheint jedoch mehr wie eine Kleinstadt. Rechts und links der Innendtadt ziehen sich die Hänge steil hinauf, während sich unten der Fjord bis mitten in die Innenstadt züngelt. Wir besichtigen zwei kleine Kirchen, den Fischmarkt, auf dem Walsalami verkauft wird (ja, das ist hier erlaubt!) und den sehr alten berühmten Teil der Stadt, den Bryggen. Ansonsten schlendern wir durch die wunderschönen Wohnbereiche der Stadt mit den Gassen und den vielen bunten Hölzhäusern. Wir fühlen uns beinahe wie zuhause. Auf einmal erkennen wir Vogelarten und Baumarten wieder. Hier eine Buche (wir knabbern mal wieder Bucheckern) und da eine Eiche. Auch fällt uns auf, dass hier extrem viele Elektroautos herumfahren. In Norwegen ist wohl jedes fünfte Auto ein Elektroauto und es gibt überall im Land Elektrotankstellen. Hier in der Stadt scheinen jedoch noch mehr Leute batteriebetrieben zu fahren. Der Staat subventioniert Elektromobilität recht hoch. Finanziert durch den Verkauf von Erdöl.

Um sieben Uhr in der Frühe stehen wir am Bahnhof. Wir verlassen Bergen, eine hübsche Stadt, die wir beide gerne nochmals besuchen möchten, gen Oslo. Es ist noch dunkel, als der Zug aus der Stadt fährt, doch man kann im Dämmerlicht den Fjord, an dessen Rand wir entlangfahren, erkennen. Schon bald geht es immer weiter ins Landesinnere und hinauf in die Berge. Es ist herbstlich. Der morgendliche Nebel zieht seine Schleier um die bereits blätterlosen Birken. Es sieht märchenhaft aus. Mit der Zeit und der Höhe fallen die ersten Sonnenstrahlen durch das weiße Tuch und vertreiben es. Wir fahren in einem Tal immer weiter hinauf. Immer wieder hält der Zug an kleinen Bahnhöfen. Manchmal sieht man kein Haus weit und breit, sondern nur einen Bauernhof, der seinen eigenen Bahnhof hat. Doch auch kleine Ortschaften aus bunten Holzhäuschen passieren wir. Irgendwann sind wir oben auf dem Fjäll angekommen. Alles ist weiß. Es hat bestimmt 20 Zentimeter Schnee und es sieht wunderschön aus. Rebecca steigt beim nächsten Halt aus, wirft ein paar Schneebälle und springt gleich wieder in den Zug, bevor er abfährt. Dann geht es wieder hinunter und auf der östlichen Seite des Gebirges regnet es. Der Schnee wird weniger, bis er ganz verschwindet. Wir fahren durch Wälder und an vielen Höfen und Ortschaften vorbei. „Das ist ja dicht besiedelt“, denken wir uns. Norwegen ist etwas größer als Deutschland, hat allerdings nur knapp fünf Millionen Einwohner. Angesichts dessen bekommen wir ein bisschen Angst vor Deutschland mit seinen 80 Millionen Bewohnern. Angst vor der Enge, Angst vor den vielen Menschen. Kanada und Alaska erscheinen dagegen fast unbewohnt. Diese riesigen und unberührten Flächen. Ich dachte immer, Norwegen hat so viel Natur. Im Gegensatz zu Kanada oder Alaska ist das jedoch nichts. Ja, wir kommen wieder zurück in unser kleines, dichtes Europa.

Von Oslo aus fahren wir gleich weiter nach Kongsvinger, einer kleinen Stadt weiter im Norden, wo wir am Bahnhof auf eine Rückmeldung vom Hof warten. Wieder nichts. Ich muss aufs Klo, doch auch hier kann man, wie überall in Norwegen auf öffentlichen Toiletten, nur mit Karte bezahlen. Ich dachte immer, die USA sei da so schlimm, aber Norwegen ist noch viel schlimmer, was diese Kreditkartenbezahlerei angeht. Wir beschließen einfach in den nahegelegenen Wald zu laufen und dort zu zelten. In Mutter Natur kann man sein Geschäft sowieso leichter verrichten!

Sie haben sich doch noch gemeldet, aber wir müssen noch etwa 50 Kilometer weiter, nach Flisa. Wir laufen ein Stück aus der Stadt und trauen unseren Augen kaum, als wir an einem Karottenfeld vorbeilaufen, das offensichtlich bereits geerntet wurde, aber noch im wahrsten Sinne des Wortes, tausende Karotten herumliegen. Wir stecken sofort ein paar ein und laufen, beide Karotten essend, weiter. Vermutlich sind das die nicht richtig geformten Möhren gewesen. Zwei Wochen später liegen sie noch immer an Ort und Stelle, als wir Besorgungen in Kongsvinger machen sollten. Willkommen im Überfluss!

Angekommen auf dem Hof, der nahe an der schwedischen Grenze liegt, beziehen wir eine eigene kleine Hütte neben dem Hauptgebäude. Auf dem Hof lebt Lill (30), halb Norwegerin und halb Brasilianerin mit Thomas und drei Kindern, wobei die ältesten beiden, Sophia (8) und Jaran (6), einen anderen Vater haben und Birk (2). Außerdem gibt es 70 Fleischrinder, 14 Hunde, vier Katzen, ein paar Hühner, Hasen, Enten und Pfaue. Unsere Aufgaben sind sehr verschieden. Oft gehen wir mit den Hunden spazieren, aber wir räumen auch einen Messi-Keller, sowie eine Messi-Garage blitzblank auf. Wir säubern und fetten zudem unzählige Sattel und Trensen für die Pferde und machen einige Zäune.

Einmal sammeln wir alle Pfandflaschen und vor allem Dosen, die wir im und um den Hof finden können, sortieren sie nach Norwegen und Schweden und geben sie ab. Insgesamt sind es etwa 1200 Dosen und Flaschen im Wert von fast 170 € und es sind noch zwei ganze Säcke übrig geblieben.

Wir füttern die Pferde, Katzen und Hasen morgens und bringen die Hunde abends von draußen in den Keller, wo sie schlafen. Die Katzen hingegen dürfen bei uns in der Hütte und im Bett schlafen, worauf wir uns jeden Tag freuen.

Lill ist Hundezüchterin und geht mit ihren Hunden regelmäßig europaweit auf Hundeshows, bei denen es einfach um die Statur und die Proportionen des Hundes geht. Sie hat am Hof direkt 14 Hunde und insgesamt 35, die bei Privatleuten wohnen, die sich keinen eigenen Hund leisten können/wollen, aber ihren Hund immer wieder an Lill abgeben müssen, wenn sie sie zu Shows oder zur Zucht benötigt. So hat sie auf dem Hof vier Kurzhaarcollies, vier Langhaarcollies, einen jungen Border Collie, zwei norwegische Jagdhunde und einen Rinderhütehund.

Die Gegend Norwegens, in der wir uns befinden ist recht trocken. Wir haben die ersten zwei Wochen schönes, aber kaltes Wetter. Nachts sinken die Temperaturen auf -10 Grad und tagsüber bleibt es meist unter dem Gefrierpunkt. Dann bekommen wir Schnee. Es schneit drei Tage lang und wir haben fast einen halben Meter davon, was wunderschön ist. Thomas, der sonst nachts im Wald Bäume fällt, muss nun auch tagsüber Schnee räumen. Ansonsten geht Thomas auch oft Elche jagen. Das ist in Norwegen sehr populär. Er hat ein bestimmtes Gebiet, in dem er 11 Elche dieses Jahr schießen darf. Die Jahre davor waren es sogar bis zu 70, aber da die Zahl der Wölfe steigt, geht die Elchpopulation zurück. Während wir mit den Hunden spazieren sind, kreuzt zweimal eine Elchkuh mit zwei Jungen den Weg. Wölfe oder gar Bären sehen wir leider nicht.

Wir essen dementsprechend oft Elchfleisch. Durchschnittlich jeden zweiten Tag ist Elch auf dem Tisch. Der skandinavische Elch schmeckt anders als der nordamerikanische. In Kanada hat das Fleisch recht streng und ziegig geschmeckt. Elch schmeckt jedenfalls sehr gut, wir sind aber trotzdem über Abwechslung froh, denn es gibt sehr viel Fleisch. Das Essverhalten auf dem Hof finden wir generell recht komisch. Es werden in rauen Mengen Dinge gekauft, die bereits im Kühlschrank liegen und dementsprechend viel wird auch weggeworfen, da es vergammelt. Außerdem ist alles offen. Es kann sein, dass fünf Packungen des gleichen Käses oder vier Milchpackungen offen stehen. Es wird auch immer deutlich zu viel gekocht, doch statt die Reste am nächsten Tag zu essen, wird einfach alles über das Terassengeländer zu den Hühnern gekippt. Früchte gibt es gar nicht und als Lill einmal ein paar Orangen kauft, dürfen die Kinder sie nicht essen, da sie für Thomas bestimmt sind. Ansonsten wird ohne Ende konsumiert. Die Kinder, die sehr nett sind, bekommen andauernd Gesellschaftsspiele geschenkt, die nach ein paar Tagen irgendwo verstauben. Außerdem werden die Kinder die ganze Zeit vor Tablets, Handys und dem Fernseher ruhig gestellt. Es ist schon sehr traurig, mit ansehen zu müssen, wie ein Zweijähriger mehrere Stunden am Tag irgendeine Kinderserie schaut, die er überhaupt nicht versteht, oder eine Achtjährige, die nichts mit sich anzufangen weiß, wenn der Strom und somit das Internet ausfällt.

Auch die Kommunikation ist gerade mit Lill nicht so einfach, da man das Gefühl hat, sie zu nerven, wenn man fragt, was man helfen kann. Von sich aus gibt sie einem jedoch kaum Aufgaben. Manchmal verschwinden auch einfach auf einen Schlag alle ohne etwas zu sagen und wir wissen nicht, wohin sie gegangen sind und wann sie wieder kommen werden. Normalerweise kocht Lill abends, aber es kommt immer wieder vor, dass alle weg sind und wir warten, dass sie wiederkommen, aber uns niemand sagt, dass wir uns selbst was kochen sollen, ohne dass wir fragen müssen. Wir wissen insgesamt nicht recht, wie willkommen wir sind und gehen meist recht früh abends mit den Katzen in unsere Hütte. Auch der Abschied ist recht seltsam. Lill verlässt den Hof für zwei Tage gen Paris und wir sagen ihr am Tag davor, dass wir an dem Tag gehen, an dem sie wiederkommt und wir uns somit nicht mehr sehen werden. Am nächsten Morgen ist sie einfach weg. Kein Wort, kein Brief, nichts. Wir fragen Thomas, ob Lill irgendein Problem mit uns hat, aber er verneint und richtet uns am nächsten Tag ein Tschüss von Lill aus. Obwohl sie unsere Telefonnummern und Email-Adresse hat, schreibt sie uns nicht mehr. Wir finden es irgendwie seltsam, dass wir fast fünf Wochen jeden Tag arbeiten, den gesamten zugemüllten Keller und die genauso vermüllte Garage aufräumen (wo sich bei unserer Abfahrt bereits der erste Müll wieder sammelt), alle Tiere füttern (die normalerweise auch nicht richtig versorgt werden, denn es hat keiner gewusst, dass wir die Katzen und Hasen füttern, es sonst aber keiner gemacht hat) und am Ende kein wirkliches „Danke“ und nicht einmal ein „Tschüss“ kommt.

Wir verlassen den Hof mit gemischten Gefühlen. Einerseits hatten wir schon eine schöne Zeit mit den Hunden, den Katzen und den Kindern, aber es war mit Lill auch schwierig. Nicht weil wir gestritten haben oder uns nicht verstanden haben, sondern weil wir nie einschätzen konnten, was sie von uns erwartet und denkt. Wir hatten immer das Gefühl, dass ihr etwas nicht passt, sie uns aber nicht sagt, was.

Wir fahren mit dem Auto vom Hof zum Flughafen, stellen es dort für Lill ab, die ein paar Stunden später kommt und trampen mit einem jungen Mann in die Stadt. Dort warten wir auf die Fähre, die uns nach Kopenhagen bringen wird.

Liebe Grüße aus Dänemark,

Rebecca und Johann 🙂

(Johann)

Auf einem Hof im Süden Islands

Es fühlt sich wie gestern an, dass wir hier am Flughafen in Keflavík ankamen. Jetzt sitzen wir wieder hier. Sechs kurze aber umso schönere Wochen später.

Doch ich fange von vorne an: Wir kommen früh am Morgen am Flughafen an und trampen nach Reykjavík. Der Tag wird erwartungsgemäß sehr anstrengend, da wir seit vielen Stunden nicht mehr geschlafen haben. Dennoch schauen wir uns die Stadt ein bisschen an.

Am nächsten Tag geht es Richtung Vík, zu dem Hof, auf dem wir für ein paar Wochen bleiben möchten. Knapp 100 Km. trampen wir, dann geben wir auf. Es regnet in Strömen, zusätzlich windet es, sodass der Regen leider nicht nur von oben kommt. Wir versuchen es nochmal für eine Stunde, als der Regen etwas nachlässt, allerdings scheint niemand besonders begeistert von der Idee zu sein, zwei tropfnasse Tramper mitzunehmen. Ich kann es verstehen und wir entscheiden uns für den (sehr teuren) Bus. In Vík werden wir von Siggi abgeholt, der sich ersteinmal für das bescheidene Wetter entschuldigt und erzählt, Vík und Umgebung sei bekannt als der Ort mit dem schlechtesten Wetter auf Island. Das haben wir ja gut getroffen…

Im Stall bekommen wir unsere Aufgaben für die nächsten Wochen gezeigt: Die Kühe leben in Anbindehaltung. Jede hat ihren Platz. Am Morgen muss erstmal alles ein bisschen durchgeputzt werden, bevor mit dem Melken begonnen werden kann. Wir müssen dabei nur alles von den Matten auf denen die Kühe liegen in eine Rinne herunterkratzen, durch die eine Maschine fährt und alles in die Güllegrube schiebt. Dann bekommen die Kühe ihre Pellets. Je nach Trächtigkeitsgrad (bzw. Milchproduktion) mehr oder weniger, wobei die Kühe, die gerade oder in den letzten Wochen gekalbt haben, am meisten Pellets bekommen (ca. 4Kg am Tag), da sie auch die größte Milchproduktion haben. Dann werden die Kälber gefüttert, die noch Milch brauchen. In der ersten Woche sind sie vor dem Platz ihrer Mutter angebunden, so können sie zusammen sein. Allerdings bekommt das Kalb von Beginn an die Flasche und lernt nicht, am Euter zu trinken. Hungrig blickt uns das Kälbchen entgegen, als wir ihm endlich die ersehnte warme Milch bringen. Noch bevor wir da sind, öffnet es schon das Maul und bewegt die Zunge ungeduldig. Er kann es kaum abwarten. Genüsslich schmatzt er drei Liter Milch in sich hinein, das Schwänzchen wedelt freudig hin und her, während der kleine Bauch dicker und dicker wird.

Nach ein- bis zwei Wochen kommen die Kälber dann in eine Kälbergruppe, in der sie unbegrenzten Zugang zu Milch haben. Diese ist ab diesem Zeitpunkt keine richtige Kuhmilch mehr sondern eine Milch, die aus Milchpulver gemischt wird. Zweimal täglich füllen wir die „Nanny“ mit Wasser und dem Milchpulvergemisch auf. Hinzu kommt noch eine Säure, da die Milch nicht die richtige Temperatur hat und sonst nicht richtig verdaut werden könnte. Nach etwa drei Monaten kommen die Kälber in eine neue Gruppe und bekommen nur noch Heu zu fressen. Wenn man bedenkt, wie lange Kälber Milch trinken, wenn sie in einer Mitterkuhhaltung aufwachsen, sind drei Monate Milch nicht viel…

Anschließend füttern wir die Hasen und Hühner, misten bei den Kälbern, die kein Einstreu haben durch, füttern diese und zwei Bullen (Mast) mit Heu und holen die Pferde mit dem Auto von der großen Nachtweide auf eine kleinere. Das ist manchmal ein bisschen abenteuerlich, denn je nachdem wo die Pferde sind muss man durch zwei große Bäche durch und dann querfeldein (ohne irgendwo stecken zu bleiben). Wenn wir dann noch Zeit haben, helfen wir mit dem Putzen der Kühe für das Melken oder waschen Lappen und Melkmaschinen. Je nach Wetterlage dürfen die Kühe dann für den Tag nach draußen oder bekommen drinnen Heu gefüttert. Nach dem Melken haben wir den Mittag frei bis abends, dann geht es wieder in den Stall.

Bei gutem Wetter nehmen mich Karolina und Anna (auf dem Hof angestellt) auf ihre Ausritte am Strand mit. Ich habe riesigen Spaß mit ihnen und den Pferden. Wir galoppieren auf dem schwarzen Sandstrand entlang, die Arme ausgebreitet und laut jauchzend, reiten durch Bäche und Dünen und treiben Schafe.

Als besonders eindrücklich wird mir der Tag in Erinnerung bleiben, an dem wir zu Dyrhólaey, einem großen Felstor, das ins Meer hinausragt ritten:
Gerade hat noch die Sonne geschienen, inzwischen ist Nebel aufgezogen, der die Umgebung verschleiert und alles ein bisschen mystisch erscheinen lässt. Dennoch gehen wir die Pferde holen und reiten wenig später los. Es geht ein Stück über den Strand, dann auf ein Feld und in die Dünen. Der Nebel ist so schnell verschwunden wie er gekommen ist, dafür frischt der Wind merklich auf. Nach etwa einer Stunde kommen wir an dem Felsen an. Oben stehen ein paar Leute und schauen zu uns herunter. Ich will nicht mit ihnen tauschen. Das hier ist viel besser. Wir lassen die Pferde nochmal ein kurzes Stück flitzen. Ich fühle mich grinsen. Mein Spaß verfliegt auch nicht, als es langsam zu nieseln beginnt. Wir machen eine kurze Pause hinter einer großen Felsnadel, die uns vor dem Wind Schutz bietet, bevor es wieder zurück geht. Inzwischen ist der Wind recht stark geworden und treibt uns den Regen direkt ins Gesicht. Die Pferde traben tapfer weiter. Der Wind bläst uns immer stärker entgegen. Er drückt mich im Sattel zurück, sodass ich mich immer wieder richtig hinsetzen muss. Anna, die vor mir ohne Sattel reitet, wird einmal von einer Windböe fast vom Pferd geschoben. Inzwischen können wir nur noch durch zusammengekniffene Augen und dementsprechend wenig sehen. Wir überlassen den Pferden die Kontrolle, etwas anderes bleibt uns nicht übrig. Sie kennen den Weg nach Hause, sie kennen das isländische Wetter. Wir sind ihnen in diesem Moment unterlegen. Es ist ein tolles Gefühl, denn nun ist es an uns, den Tieren das Vertrauen zu geben, dass wir sonst von ihnen verlangen. Es ist ein unbeschreibliches und wunderbares Gefühl zu wissen, dem Pferd vertrauen zu können. Ohne die Pferde wäre es ein Kampf, zurückzukommen. Ein Kampf, den die Pferde für uns kämpfen und man hat fast das Gefühl, als wüchsen sie förmlich durch das Vertrauen, das wir in sie stecken. Sie ziehen die ganzen sieben Kilometer in einem flotten Trab und etwa einer halben Stunde durch, während uns Böen von bis zu 70 Km/h entgegenschlagen. Ich bewundere die Tiere sehr.

Manchmal gibt es neben dem Melken auch über den Tag noch Dinge, bei denen wir helfen können. Wir helfen ab und an beim Säubern der Cottages (Vermietung an Touristen) oder beim Ausmisten der Box für die kleinsten Kälber, die sich riesig über das frische und trockene Heu freuen, das sie danach eingestreut bekommen. Das alte Streu kommt meist erst dann raus, wenn es ganz dreckig ist, sodass die Kleinen oftmals im Nassen liegen, was mir ein bisschen Leid tut. Auch die Kühe sind morgens oft nass und voller Kacke, weil sie sich auf ihre Matten machen und sich dann reinlegen. Vielleicht wird sich das aber ein bisschen ändern, wenn der Stall umgebaut ist. Die Anbindehaltung ist im Moment auf Island noch geduldet wenn es um alte Ställe geht, muss aber umgebaut werden. Siggi plant einen etwas größeren Laufstall, mit Mist- und Melkroboter, den die Kühe selbst aufsuchen und der sie vollautomatisch milkt. Für ihn hat es den Vorteil, dass ihm viel Zeit erspart würde, in der er sich um anderes kümmern könnte. Ich persönlich war selbst schon auf einem Hof, in dem mit Melkroboter gemolken wurde und war davon nicht allzu sehr begeistert. Natürlich spart es viel Zeit ein, ich hatte jedoch den Eindruck, dass dabei das Gefühl fürs Tier auf der Strecke bleibt, man es noch mehr auf die Milchproduktion reduziert als man es sowieso schon tut und man es nicht mehr so richtig als Lebewesen mit Gefühlen und Bedüfnissen wahrnimmt. Das komt aber natürlich auch immer auf die Menschen an, die sich um die Tiere kümmmern.

Ab und zu müssen auch die Futtergänge gereinigt werden. Weil gerade der Stall umgebaut wird, stapfen die Kühe auf ihrem Weg nach draußen durch ihr Heu und verlieren dabei auch den ein oder anderen Fladen. Außerdem ist das Dach nicht mehr überall dicht, sodass der Regen sein Übriges tut, das Heu ungenießbar zu machen. Die Kühe treten alles schön kompakt zusammen, sodass eine dicke Schicht nassen Heus entsteht. Nach einer gewissen Zeit muss das ganze dann einfach mal raus. Wir haben das Glück, nicht viel von Hand machen zu müssen. Mit der Mistgabel muss nur alles an dem Rand auf einen langen Haufen geschaufelt werden, den Siggi dann mit einem kleinen Traktor (mit dem auch die Kälberbox gemistet und die Kühe gefüttert werden) auflädt. Sobald die Rückseite des Stalls umgebaut ist, können die Kühe wieder durch ihren eigentlichen Ausgang raus und die Futtergänge bleiben länger sauber. Doch wann das soweit ist, weiß keiner genau. Immerhin ist es inzwischen Herbst und das Wetter lädt nicht wirklich dazu ein, draußen zu arbeiten. Sonnentage gibt es imme seltener, Wind und Regen werden immer mehr. Tatsächlich ist es an manchen Tagen fast unmöglich draußen zu arbeiten, aufgrund der schweren stürmischen Böen. An diesen Tagen bleiben auch die Kühe im Stall, was sich nicht gerade positiv auf ihre Laune auswirkt. Nach zwei Tagen treten sie genervt von einem Bein aufs andere, wenn man die Zitzen fürs Melken wäscht und die ein oder andere Kuh tritt aus Frust auch mal eine Melkmaschine herunter. Der Sommer, an dem die Kühe nur zum Melken hereinkommen müssen und sonst immer draußen sind, ist nur kurz. Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen sie im Stall.

Ende September ist es an der Zeit, die Schafe reinzuholen und zu sortieren. Wir dürfen die lustigen kleinen Wollkugeln, die wirklich sehr weit und sehr hoch springen können, mit den Pferden nach Hause treiben. Etwa 45 Schafe sortieren wir für den Schlachthof aus und verladen sie am darauffolgenden Tag in einen riesigen Laster. Ca. 20 Schafe dürfen wieder raus auf die Weide und die anderen 20 werden am darauffolgenden Wochenende direkt auf dem Hof geschlachtet. Da wir auf dem Hof viel Fleisch essen, möchten wir auch gerne dabei sein und sehen was passiert, wenn ein Tier geschlachtet wird. Für mich gehört das dazu, wenn man Tierprodukte essen möchte. Ich war schon einmal dabei als ein junger Ziegenbock geschlachtet wurde, das ging mir damals sehr nahe. Bei den Schafen ist es ein bisschen anders, sie sind nicht zahm, man kennt sie nicht und hat keinen Bezug zu ihnen. Und es sind viele. Jede Person macht einen Handgriff, dadurch wirkt der ganze Prozess sehr routiniert und wenig furchteinflößend, gleichzeitig aber auch weniger bewusst seiner Handlung und weniger respektvoll, bzw. dankbar dem Tier gegenüber.

Mit der Zeit dürfen wir mehr und mehr Aufgaben übernehmen. Erst zeigt uns Siggi das Anschließen der Kühe an die tragbaren Melkmaschinen. Wir arbeiten mit vier Maschinen gleichzeitig, die jeweils immer zwischen zwei Kühen hängen. Die erste Kuh wird z.B von links gemolken, die zweite von rechts, dann trägt man die Melkmaschine zu dem nächsten Paar und macht dort weiter. Dann zeigt uns Siggi die Bedienung des ganzen Melkapparats, die Vor- und Nachbreitung und bald können wir alleine melken. Siggi schenkt uns eine Menge Vertrauen und traut uns vieles zu. Er überlässt uns an zwei Tagen ein komplettes Melken alleine und schaut sonst meistens nur kurz vorbei, melkt ein paar Kühe und macht dann wieder etwas anderes. Die Arbeit mit den Tieren und auch das Melken machen uns beiden großen Spaß. Wir lernen langsam die einzelnen Kühe und ihre Eigenschaften kennen. Ljómalind nimmt immer den geichen Weg zu ihrer Schlafmatte, auch wenn es der längste und beschwerlichste ist, Þoka liebt es am Hals gekrault zu werden und schleckt einem dabei manchmal mit ihrer rauen Zunge übers Gesicht und Meadbh, die sonst beim Melken gerne mal tritt, bleibt ruhig stehen, wenn man sie an der Lendenwirbelsäule krault, dann hebt sie genießerisch den Schwanz, streckt den Hals aus und leckt wie wild um ihr Maul. Das ein oder andere Mal fährt mir während ich eine Kuh anschließe der Gedanke durch den Kopf, wie komisch es ist, das hier zu tun: den Kälbern die Muttermilch zu verweigern, sie selbst anzuzapfen und für sich zu nutzen obwohl wir sie nicht brauchen. Wir Menschen sind manchmal schon sehr komisch…

An unseren freien Tagen (zwei pro Woche) machen wir zweimal einen kleinen Ausflug nach Vík und dort kleine Wanderungen oder spazieren am Strand entlang, immer begleitet von Odi und Whiskey, den beiden Hofhunden, die keine Gelegenheit verpassen, sich am Strand auszutoben. Unermüdlich bringen sie Stöckchen und spielen knurrend und schwanzwedelnd mit angeschwemmten Bojen, die sie wie Fußbälle vor sich herrollen und erwartungsvoll zu einem aufschauen, wenn sie einem die Boje vor die Füße gespielt haben. Die beiden sind die einzigen, die bei Wind und Wetter draußen sind und nur für die Nacht ins Haus verschwinden. Aber auch erst dann, wenn Siggi sie ein paar Mal dazu aufgefordert hat. Kater Hugo hingegen geht nur für kurze Spaziergänge nach draußen und genießt sonst das Leben eines Königs. Sobald er Teller klappern hört, kommt angesprungen und sitzt pünktlich zum Abendessen auf der Bank an Siggis Platz, wo er auf das ein oder andere Häppchen besteht. Aber bitte nur gutes Fleisch. Aus Spaß legt ihm Johann einmal eine Bohne hin, die er irritiert beschnüffelt und dann angewiedert mit der Pfote von der Bank wirft und Johann dann vorwurfsvoll ansieht. Hat er Durst, setzt er sich an den Wasserhahn und wartet, bis jemand ihm diesen aufdreht, um dann das Wasser aus dem Strahl zu trinken. Stehendes Wasser kommt nicht in Frage.

Wir schließen nicht nur die verspielten aber auch sehr kuschelbedürftigen Hunde, die Kühe und Kälber und den verwöhnten Kater ins Herz, sonden auch die Menschen. Siggi können wir alles fragen, er erklärt und erzählt viel und wir haben eine gute Zeit mit ihm. Und dann ist da noch Sylvia, die sich um die Cottages kümmert und mit der wir uns ebenfalls gut vestehen und Karolina und ihr Freund Darek, die beide, ebenso wie Sylvia, aus Polen kommen und angstellt sind. Karolina und ich gehen gemeinsam spazieren und reden über Gott und die Welt, an gemeinsamen Abenden zeigen wir den beiden Bilder unserer Reise und erzählen Geschichten. Es ist sehr schön, unsere Erfahrungen und Erlebnisse mit zwei so interessierten Menschen teilen zu können, wird doch sonst der ein oder andere angesichts unserer Redeschwälle und den vielen Geschichten, die wir zu erzählen haben ein bisschen des Zuhörens müde. Karolina und Darek nicht. Wir haben viel Spaß und viele schöne gemeinsame Momente. Dementsprechend schwer fällt es uns, uns nach sechs Wochen wieder zu verabschieden.

Wir haben unsere Zeit auf Island und unsere Arbeit sehr genossen und ich wäre auch länger geblieben, wollten wir nicht im Dezember zurück sein, hätten wir nicht ein Workaway in Norwegen und einen Flug nach Bergen schon gebucht. So machen wir uns aber auf den Weg nach Reykjavík, diesmal ist das Wetter gut genug zum Trampen, was auch recht gut funktioniert und sitzen am nächsten Morgen mit dicken Erkältungen am Flughafen.

Es fühlt sich an wie gestern und es ist komisch, am gleichen Ort anzukommen und wegzugehen. Es fühlt sich komisch an, zu fliegen. Aber wir sind eben auf einer Insel, da kann man nicht einfach immer in die gleiche Richtung weitergehen, wie wir es sonst gemacht haben. Wir müssen das Schiff oder das Flugzeug nehmen und entscheiden uns nach ein wenig Nachgeforsche was die Emissionen betrifft für das in diesem Fall weniger umweltschädliche Flugzeug (keine Gewähr auf Richtigkeit).

Bei strahlendem Sonnenschein hebt die Maschine ab und wir können Island, dieses karge und raue und doch gleichzeitig so beeindruckende und wunderschönes Fleckchen Erde nochmal von oben bewundern, bevor wir auf das Meer hinausfliegen und nur zwei Stunden später in Norwegen, Bergen landen. Wir haben den nächsten großen Schritt geschafft, sind auf europäischem Festland, in der gleichen Zeitzone wie Deutschland…

Bis bald,

Johann und Rebecca

(Rebecca)

Auf dem Weg zurück

Wir haben unser Ziel erreicht. Wir sind in Alaska angekommen und haben eine Zeit lang hier verbracht. Ab jetzt geht es Richtung Zuhause.

Wir sitzen im Bus. In zwei Tagen verlassen wir den amerikanischen Kontinent, auf dem wir uns über eineinhalb Jahre aufgehalten haben. Erinnerungen schweben mir im Kopf herum, Erinnerungen an unsere Reise, an die Menschen die wir kennengelernt haben und an die Orte an denen wir gewesen sind. Sie sind bunt. Wir vermissen die Buntheit und die Offenheit Lateinamerikas, die Gastfreundschaft der Menschen und ihre Herzlichkeit. Die Kultur und die Sprache. Wir werden die Stille und Schönheit Kanadas und Alaskas vermissen, die endlos bewaldeten Berghänge und unbewohnten Seen, die Tundra, die Wildheit Denalis, das Eins-Werden mit der Natur. Als wir Mexiko verlassen haben, hatte ich nicht dieses beklemmende Gefühl des Abschieds. Wir sind ja in Amerika geblieben. Auch wenn wir in Alaska Europa viel näher sind als Südamerika, hatte ih doch bei unserer Abreise aus Mexiko noch nicht das Gefühl mich von Lateinamerika verabschieden zu müssen. Jetzt müssen wir uns von allem gleichzeitig verabschieden.

Mit dem Verlassen des amerikanischen Kontinents begeben wir uns auf den Weg zurück, zurück nach Europa, Deutschland, zu unseren Familien und Freunden. Ob wir uns auf den Weg nach Hause machen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht ob da, wo einmal Zuhause für mich war, immer noch Zuhause ist. An jedem der vielen wunderbaren Orte habe ich ein kleines Stückchen meines Herzens gelassen. Wo ich Zuhause bin weiß ich nicht. Noch nicht.

Der Abend vor unserem Flug: Ich möchte nicht gehen. Wir sitzen im Hot Pot bei unserem Couchsurfing und lassen unsere Reise Revue passieren. Sie geht zu Ende. Und ich, die am Anfang oft Heimweh und Sehnsucht nach meiner Familie hatte, möchte nicht gehen. Mir wird klar: ich habe Angst davor, nach Hause zu kommen. Angst davor, den Menschen wiederzubegegnen, die ich so lange nicht mehr gesehen habe. Immer wieder neuen Menschen zu begegnen, das macht mir nichts mehr aus, davor habe ich keine Angst mehr, davor, alte Bekannte oder Familie wiederzusehen schon. Was wird von mir erwartet? Wie soll ich mih verhalten? Bin ich willkommen?

Wir lassen uns auf unsere Fensterplätze fallen. Wir haben beide einen Fensterplatz ganz hinten im Flugzeug. Die Sitze neben uns bleiben leer. Wir starten, sehen noch einmal den Pazifik und die Alaska Range. Der Denali ist wolkenverhangen. Vorerst. Als wir genau neben ihm sind, reißen die Woken auf und er zeigt sich uns nochmal in seiner ganzen Pracht. Ein riesiger Gletscher fließt in ein Tal hinab. Es sind nur zwei Minuten, dann ist er wieder im Dunst verschwunden. Wir winken Elias, der unter uns im Visitor Center sitzt. Wir fliegen über schroffe Berge, die Tundra, die an manchen Stellen rot leuchtet, über eine unberührte Landschaft ohne eine Menschenseele, voller Seen und Flüsse, die sich in vielen Schleifen ihren Weg zum Yukon bahnen. Wie Löwenzahn leuchten die gelben Birkenblätter bis zu uns nach oben. Wie Blütenteppiche begleiten sie die Flüsse und bedecken Berghänge. Dann passieren wir den Yukon, der in viele Arme aufgefächert majestätisch dahinfließt. „Das war Amerika“ denke ich wehmütig als wir das Festland verlassen. Eine Wolkenschicht zieht sich zwischen uns und das Meer, allerdings nicht für lange. Und plötzlich treiben unter uns Eisschollen im Ozean. Wie groß sie wohl sein mögen? Von hier oben sehen sie aus wie Spielsteine. Der Wind hat Muster auf das Wasser gemalt. Die Schollen bilden Strudel und kleinere Gruppen. An manchen Stellen gibt es keine. Je weiter wir kommen, desto größere Platten bilden sich. Sie warten nur darauf, zusammenzuschmelzen. Wir fliegen über die kanadischen Inseln ganz im Norden. Manche sind schneebedeckt, andere nicht, dazwischen immer wieder Eisschollen, einzelne und große Platten. Dann werden die Eisschollen wieder weniger, bis wir gar keine mehr sehen. Große Gletscher bedecken einige der Inseln. Die Sonne neigt sich langsam dem Horizont zu und versinkt als glühend roter Ball im Meer.

Nach drei Stunden Nacht landen wir auf Island. Wir sind wieder in Europa. Auf dem Weg zurück…

Johann und Rebecca

(Rebecca)

Fazit Kanada und Alaska

FAZIT KANADA:

Anfang des Jahres kamen wir in Vancouver an. Aus Mexiko, mit gemischten Gefühlen. Einerseits haben wir uns auf Kanada gefreut, da wir dachten, es in manchen Punkten kulturell bedingt etwas einfacher zu haben und nicht mehr so als reicher Tourist wahrgenommen zu werden. Andererseits war uns auch klar, dass wir in Kanada wahrscheinlich nicht mehr auf so viele offene und lebensleichte Menschen treffen werden. So oder so ähnlich kam es dann auch. Wir mussten uns in einer andere Welt einfinden. In eine Welt, die leiser ist, ernster und in der man nicht einfach befahrene Straßen, Baustellen oder ähnliches betritt. Die andere Sache war die Sprache. Nach über einem Jahr Spansich kamen wir nun in ein englischsprachiges Land. Im Gegensatz zu Französisch kamen wir mit Englisch und Spanisch nicht so durcheinander, dennoch mussten wir erst wieder reinkommen. Anfangs hätten wir uns auf Spanisch einfacher verständigen können als auf Englisch.

Wir fuhren in den Norden, halfen im Frühjahr auf einer riesigen Rinderfarm und im Sommer am Yukon auf einem kleinen Hof. Wir haben uns eingefunden, aber trotzdem sind wir, ich würde sagen, etwas delikat geworden, was Kultur betrifft. Damit meine ich, dass wir alles sehr hinterfragen und uns genau anschauen, wie die Leute sind. Was sie sagen, was sie machen. Wir haben nun Maßstäbe, um Vergleiche ziehen zu können. Wir können an uns beobachten, wie wir sind, wir sind über ein Jahr durch Lateinamerika gereist und konnten dort viele verschiedene Menschen treffen. Deren Einstellungen, Denkweisen und Alltag kennenlernen. Es ist nicht einfach, das ganze neutral zu sehen und einfach nur zu beobachten. Ohne zu Werten. Denn es gibt doch immer wieder Dinge, die einem ganz schön auf die Nerven gehen. In Kanada genauso wie in Lateinamerika, genauso wie bei einem selber.

In Kanada fällt uns auf, dass die Menschen viel distanzierter und dabei (gezwungen) höflich sind als in Lateinamerika, wenn man das mal so grob verallgemeinern kann. Man könnte es auch kühler nennen (was manchmal auch weniger anstrengend sein kann). Gut konnten wir das auf dem Hof am Yukon beobachten, wo abends Freunde unserer Gastgeber im Haus saßen und gekocht wurde. Der Tisch war nur für uns gedeckt. Die Freunde wurden nicht berücksichtigt. Als das Essen dann fertig war, gingen die Freunde. In Lateinamerika ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn du da im Haus bist und es gibt Essen, dann isst du mit. Nein, du hast mitzuessen. Und wenn nicht genug da ist, wird geteilt. Keine Chance dem zu entgehen. Und da sind wir auch gleich beim Punkt „Freunde“. In diesem Punkt unterscheiden sich die Kanadier gar nicht so von ihren südlichen Nachbarn, aber sehr von uns. Während für uns ein Freund wirklich eine Vertrauensperson ist, eine Person, mit der man bereits eine gewisse Zeit verbracht hat und sich nah ist, schließt das Wort „Freund“, genauso wie in Lateinamerika, auch das ein, was man bei uns als „Bekanntschaft“ bezeichnen würde. Also auch der Kassierer an der Stammsupermarktkasse oder der Automechaniker, zu dem man irgendwann mal mehr als nur „Hallo“ und „Tschüss“ gesagt hat. Für uns gewöhnungsbedürftig. Genauso wie die Tatsache, dass das was gesagt wird nicht zählt. Oberflächlichkeit. Ein Klischee, das man als Europäer über US-Amerikaner hat, welches jedoch auch in Kanada das ein oder andre Mal bestätigt wurde. Einem wird gesagt, wie toll man gearbeitet hat. Meint es nicht so. Einem wird gesagt, was man am nächsten Tag vorhat. Meint es nicht so. Man erzählt etwas. Einem wird nicht zugehört. Bekommt mehrmals kurz hintereinander die gleichen Fragen gestellt. Natürlich mit Ausnahmen, nicht jeder. Aber grundsätzlich schon. Man muss lernen, abzuschätzen, wann meint jemand etwas wirklich so wie er es sagt und wann ist es einfach nur dahergeredet. Trotzdem sind die meisten Menschen sehr freundlich und hilfsbereit. Das Trampen ging recht gut und im Gegensatz zu Lateinamerika, wird man, wenn man eine Stadt passieren will, zum Ortsausgang an eine gute Stelle gebracht und nicht einfach irgendwo ausgesetzt. Der große Unterschied beim Trampen in Kanada ist, dass man ein Schild braucht. Sonst machen die Leute wilde Gesten und versuchen einem zu verstehen zu geben, dass sie keine Ahnung haben, wo man hin möchte. Auch wenn es nur eine Straße gibt. Den Lateinamerikanern sind Schilder wurst. Sie halten egal was auf deinem Schild steht, auch wenn sie einen nur ein kleines Stück weiterbringen können. Die Kanadier brauchen die Schilder. In Alaska haben wir es gar nicht ohne probiert.

Anders sind in Kanada auch die Distanzen, die teilweise sehr einsamen, wunderschönen Gegenden und Tiere wie Bären, Elche und Wölfe. Man kann nicht einfach zelten, sondern man muss achtsamer sein, seine Nahrungsmittel immer außer Bärenreichweite bringen.

Letztendlich sind die vier Monate, die wir in Kanada verbracht haben, entschieden zu kurz um dieses riesige Land kennenzulernen. Selbst British Colombia und Yukon, die beiden Bundesstaaten, die wir besucht haben, sind jeweils um einiges größer als Deutschland. Dennoch haben wir einen Eindruck bekommen. Einen Eindruck, den wir beide noch gerne etwas vertiefen würden.

FAZIT ALASKA:

Wir wurden von einem sehr unfreundlichen und harschen Officer an der Grenze so behandelt, dass man schon große Lust darauf hatte, nach Alaska zu gehen. Einen Kulturschock erlitten wir aufgrund der letzten Monate in Kanada jedoch trotzdem nicht. Es war auch nicht groß anders. Vom gesellschaftlichen Punkt aus, scheint es zwischen den „Weißen“ und den Indigenen in Alaska weniger Probleme zu geben. Es wird nicht so getrennt zwischen „uns“ und „denen“. Trotzdem sieht man, gerade in den Städten wie Fairbanks und Anchorage viel mehr Indigene als in den Städten Kanadas. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es in Kanada sehr viele Reservate gibt, in denen viele Indigene leben, wovon wir in Alaska nichts mitbekommen haben. Das heißt allerdings nicht, dass die Indigenen in Alaska unter besseren Bedingungen leben. Das können wir schlecht einschätzen. Zumindest bei dem in den Städten lebenden Anteil haben gefühlt viele ein Alkohol- und/oder Drogenproblem. Es ist traurig anzusehen, dass diese Menschen, deren Vorfahren vor nicht allzu langer Zeit noch in der und von der Natur gelebt haben und die sie lesen konnten, nun geradezu in den Städten versauern. Damit möchte ich nicht sagen dass sie selbst daran schuld sind. Das Problem liegt am System. Auch die Zahl der Obdachlosen übertrifft die sowieso schon hohe Zahl derer in Kanada. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind vor allem ein Beförderungsmittel für die weniger gut betuchten Menschen. Alle anderen haben ein Auto. Und da sind wir auch schon beim Thema Auto. Das Auto ist Fortbewegungsmittel Nummer eins. Nichts geht ohne Auto. Auch weil einfach alles aufs Auto ausgelegt ist. Man kann zudem auch fast alles mit dem Auto machen. Braucht man etwas zu essen, fährt man in ein Drive-Thru Restaurant. Braucht man Geld an eine Drive-Thru Bank und Einkaufen kann man von zuhause aus und holt den Einkauf am Kundenservice am Eingang des Supermarktes ab. Das Ding ist aber auch, dass man ohne Auto schlecht zum Supermarkt kommt, da die Städte oft groß und breit sind und die Entfernung doch recht groß sein kann, um zum Supermarkt zu kommen. Ganz zu schweigen von den Menschen, die weit draußen im Wald leben. Da geht es ja kaum ohne. Auch beim Zelten merken wir, dass es aufs Auto ausgelegt ist.man soll keine Essenssachen mit ins Zelt nehmen wegen Bären, es gibt aber oftmals keine Bärenkisten, in denen man es verstauen könnte, weil davon ausgegangen wird, dass man alles in sein Auto packen kann.

Alaska erschien uns ansonsten sehr behindertengerecht. Es gibt an Wanderwegen zumindest eine kürzere Route, die rollstuhlgerecht ist. Es gibt überall Behindertentoiletten und im Supermarkt gibt es Elektrorollstuhleinkaufswagen (die auch gerne von übergewichtigen Leuten genutzt werden).

Die Natur in Alaska ist wundervoll. Es gibt so viel zu sehen und zu machen. Man hat hohe Berge, den Denali, Fjorde, Gletscher, Wald, Tundra, unglaublich viele Flüsse und Seen und viele Wildtiere. Und Nordlichter. Wir sind sehr viel rumgekommen in Alaska und haben dennoch kaum etwas gesehen. Nur ein ganz kleiner Teil Alaskas ist überhaupt durch Straßen zugänglich. Sonst nur mit dem Buschflugzeug. Wir konnten viele Grizzlybären, Elche, Karibus, Adler, Lachse, Moschusochsen, Füchse, zwei Schwarzbären und viele andere beobachten. Wir hatten meistens schönes Wetter. Was will man mehr?! Wir wissen jetzt schon, dass wir gerne nochmal zurückkommen würden. Denn fehlen tut uns immer noch einiges.

Jetzt schauen wir mal wie es zurück in Europa, genauer gesagt, Island so ist. Wie wir dort zurechtkommen werden und was wir für Erfahrungen machen werden.

Bis dahin alles Gute!

Liebe Grüße aus über Grönland,

Rebecca und Johann 🙂

(Johann)

„3 unterwegs im Land der Grizzlies“

Noch haben wir mit Samuel nicht viele Bären gesehen. Um genau zu sein nur zwei Schwarzbären. Auf den T-Shirts die Samuel für uns alle hat bedrucken lassen steht unter anderem aber „3 unterwegs im Land der Grizzlies“. Ob wir im Denali-Nationalpark wohl welche sehen werden?

Nach einem großen Einkauf (Essen für insgesamt neun Tage) begeben wir uns an die Straße. Wir wollen versuchen, zu dritt zum Denali-Nationalpark zu trampen. Nach etwa 20 Minuten hält ein Auto. Ein alter Mann mit dreckigen Hosen, einem langen Bart und wenigen Zähnen öffnet für uns den Kofferraum. Der erste Teil der Fahrt wird kuschelig. Während Johann vorne sitzt, teilen Samuel und ich uns die Rückbank mit seinem Rucksack und einer Hündin, die vor lauter Freude Gesellschaft zu haben, nicht aufhören kann auf uns herumzuklettern und unaufhörlich übers Gesicht zu schlecken. Der Mann muss 45Km. weit fahren. An seinem Haus angekommen, bringt er die Hündin rein und setzt sich wieder zu uns ins Auto. Er will uns bis zum Eingang des Nationalparks bringen, weil er sonst nichts zu tun hat und nur im Haus sitzt. Bis zum Denali sind es aber 313Km. zu fahren. Er scheint es zu genießen, mit jemandem reden und Geschichten erzählen zu können. Wir verstehen nicht alles was er sagt, seine Zahnlücken lassen die Worte in seinem Mund verschwimmen. Er erzählt, der Denali sei einer der höchsten Berge der Welt (6191 m), vielleicht ist es überhaupt der einzige Berg. Er habe zudem einen riesigen schwarzen Diamanten am Denali gefunden, der aus Diamanten bestünde, in Alaska habe der zweite Weltkrieg begonnen und hinter Fairbanks sei direkt die russische Grenze. Wir tun uns bei dem Rest seiner Erzählungen ein bisschen schwer, herauszufinden, was wir jetzt glauben sollen und was nicht. Er hat große Freude von Autounfällen zu erzählen, wenn sich Autos im Kreis drehen und überschlagen. Er muss sehr einsam sein, wenn er nur für ein bisschen Gesellschaft eine so weite Strecke fährt. Als wir nach etwa drei Stunden Fahrt am Denali ankommen, gibt er uns die Hand und setzt sich schnell wieder in sein Auto. Ich frage mich, wie es ihm wohl auf der Rückfahrt ergehen wird, wenn er wieder allein in seinem Auto und dann in der Stille seines kleinen Hauses sitzt. Zuhause wartet nur seine Hündin. Es tut mir leid, ihn wieder alleinzulassen.

Am nächsten Tag geht es erstmal zum Visitor Center. Es gibt ein paar Dinge zu tun, bevor wir ins Backcountry des Denali-Nationalparks aufbrechen können. Die erste Nacht werden wir am Wonder-Lake Campground verbringen, ein paar Tage vorher hatten wir ihn schon reserviert. Doch dann soll es ins Backcountry gehen. Dazu muss man sogenannte Units reservieren und das ist frühstens einen Tag bevor man losziehen will, möglich. Wir stehen also früh auf, um zu bekommen was wir wollen. Die Units sind verschieden groß und dementsprechend können unterschiedlich viele Leute gleichzeitig in eine Unit. Eine ist unbegrenzt, andere haben am Tag höchstens acht oder nur vier Plätze. Die Idee der Units ist, dass man sich fühlen soll, als sei man der erste und einzige Mensch inmitten der unberührten Natur. Es gibt keine Wanderwege in den Units (außer ein paar wenigen sehr kurzen). Man orientiert sich anhand der Landschaft und Karten und versucht durch Beobachten einen guten Weg durch sumpfige Tundra, Flüsse oder Büsche zu finden. Wir werden von den Rangern mit Informationen für die verschiedenen Units ausgestattet und suchen uns dann aus, in welche wir gehen wollen. Wir sind früh genug dran und bekommen die die wir wollen. Zur Vorbereitung müssen wir einen 30 minütigen Film ansehen über richtiges Verhalten im Nationalpark und einen Zettel mit Angaben über unser Aussehen und unsere Kleidung ausfüllen, für den Notfall. Nachdem wir unseren Backcountry-Eintritt gezahlt haben, brauchen wir nur noch ein Busticket. Mit eigenen Fahrzeugen kann man nur ein paar Meilen in den Nationalpark hineinfahren, der gesamte Rest ist für den öffentlichen Verkehr gesperrt und nur per Bus erreichbar.

Inzwischen regnet es. Abwechselnd leicht und in Strömen. Auch für den nächsten Tag ist die Wettervorhersage schlecht. Bevor wir überhaupt losgehen haben Johann und ich schon nasse Füße. Nach mehr als eineinhalb Jahren Vollnutzung sind unsere Schuhe langsam am Ende. Die Sohlen sind abgelaufen, bei Johann regnet es durch die Risse von oben rein und ich darf nichtmal durch die kleinste Pfütze gehen, weil sonst das Wasser einfach auf der Seite in einen Riss zwischen Schuh und Sohle läuft. Aber durch den Denali und bis nach Hause müssen sie es noch schaffen, nach so langer Zeit diese Schuhe wegzuschmeißen kommt gar nicht in Frage. Wir ziehen uns also Plastiktüten in die Schuhe.

Unser Zelt hat über Nacht auch ein bisschen unter dem starken Regen gelitten. Es hat aufs Innenzelt getropft und wir mussten eine Plane unter den Boden legen, damit wir nicht auch von unten nass werden. Das fängt ja schon mal gut an. Wir packen unsere Sachen am Morgen in den (zum Glück ausreichend großen) Toilettenhäuschen, dann geht es mit einem Camperbus auf in den Nationalpark. Es regnet ohne Ende. Ab und zu steigen Leute irgendwo im Nirgendwo aus um wandern zu gehen. Andere warten an der Straße, vollkommen durchnässt, auf einen der Bus, der sie aufsammelt. Unser Busfahrer überredet zwei Wanderer einzusteigen, die eigentlich gar nicht mitgenommen werden wollen. Sie sind auf dem Weg in die Unit 13, in die auch wir morgen wollen. Der Fahrer macht ein besorgtes Gesicht. Es hätte in letzter Zeit nur geregnt, sagt er, die Flüsse seien extrem angeschwollen und schwer zu durchqueren. Die Flüsse, die es in der Unit 13 (bzw. um dorthin zu gelangen) zu überqueren gibt, seien heikel. Tatsächlich sieht das Flussbett von oben ein bisschen furchteinflößend aus. Viele braune Arme schlängeln sich durch den Kies, das Bett ist so breit (oder Regen und Nebel so dicht), dass man das andere Ende nicht sehen kann. Das sieht auch für uns nicht gut aus. Auf der Fahrt bis hierher wurde viel an der Straße gearbeitet, mit Baggern wurde versucht, dem vielen Wasser kleine Bäche zu graben, sodass es nicht die Straße überschwemmt. An einer Stelle war die Straße hoffnungslos überschwemmt. Als Samuel ankam, hatte der Fluss zu wenig Wasser um unsere geplante Kanutour zu machen, hier im Denali und inzwischen auch in Fairbanks haben die Flüsse alle Hochwasser. Wir sehen auf dem Weg ein paar Karibus (nordamerikanische Rentiere) aus weiter Entfernung und unseren ersten Grizzly, der Regen und Wind tapfer trotzt. Am Zeltplatz angekommen flüchten wir unter Dach und während Johann und Samuel unser tropfnasses Zelt aufbauen, eine unserer Planen darüberspannen und die andere darunterlegen, koche ich unseren Knorr-Fertigreis. Für die Wanderung haben wir allerlei schnelle und leichte Fertiggerichte gekauft: Nudeln, Kartoffelpüree, Reis, Mac&Chesse, zum Abendessen Müsliriegel und zum Frühstück Müsli.

Tatsächlich trocknet unser Zelt dank der Plane und des Windes ein bisschen. Inzwischen gibt es auch immer wieder Regenpausen.

Wir stehen früh auf am nächsten Morgen, den Bus den wir nehmen wollen soll um 8:00 Uhr abfahren. Es regnet nicht mehr und am Himmel sieht man einzelne Wolken statt wie gestern eine graue Decke. Etwas großes braunes erregt meine Aufmerksamkeit. Ich war ganz auf die schneebedeckten Ausläufer des Denali konzentriert, deren untere Hälfte irgendwie durch die Wolken hindurch von der aufgehenden Sonne angestrahlt werden. Ich sehe genauer hin. Es ist ein Elchbulle! Es ist der erste Elch mit großem Geweih den ich sehe. Er steht etwa 150m entfernt auf einer kleinen Anhöhe, mehr oder weniger auf dem Zeltplatz. Es ist noch nicht vollkommen hell, während er frisst hebt er immer wieder den Kopf und hält die wenigen neugierigen Beobachter im Blick. Hinter ihm strahlen der Neuschnee in der Sonne. Einer der Camper kann es nicht lassen und muss näher an den Elch heran. Dem wird es bald zu viel und mit seinen langen staksigen Beinen verschwindet er in zügigem Trab hinter der Kuppe.

Dass die Busse vorerst nicht fahren, stört uns nicht groß. Aufgrund des Regens gab es mehrere Erdrutsche, die die Straße versperren. Wir gehen zum Wonder Lake, während die Wolken um den Denali immer dünner werden. Majestätisch erhebt sich der riesige Berg aus der Alaska Range. Er ist bis auf seine Ausläufer mit Schnee bedeckt, nur die Berge im Vordergrund, die wie kleine Hügel erscheinen, sind braun. Die Tundra ist in sanfte Grün- und Ockertöne getaucht. Man kann sich an dem Berg kaum satt sehen. Gestern noch hätten wir es kaum für möglich gehalten, ihn zu sehen, ja, konnten uns gar nicht vorstellen, dass er so nah sein könnte.

Wir packen das Zelt und unsere anderen nassen Sachen nochmal aus und hängen sie auf. Um ca. 12:00 Uhr bekommen die Busfahrer dann das „Ok“ und wir können losfahren. Zuerst geht es noch bis ganz ans Ende der Straße, dann zum Eielson Visitor Center, der im Nationalpark liegt. Hier bleiben wir vorerst und kochen unser Mittagessen. Wir fragen bei den Rangern nochmal, ob wir durch die Flüsse durchkönnen und bekommen die Absegnung. Dann geht es los. Einer der wenigen Wege im Nationalpark führt eine Meile vom Visitor Center bergab bis an den Fluss durch den wir durchmüssen. Wir folgen dem Weg und werden gleich mal von einem Stachelschwein überrascht, das vor uns auf dem Trail herläuft. Etwas unbeholfen setzt es ein Bein vor das andere und wankt dabei hin und her. Nur wenige Meter weiter entdecken wir etwas weiter unten eine Elchkuh mit ihrem Jungen im Gebüsch liegen. Wenn wir auf dem Weg bleiben, werden wir mit etwa 20m Abstand an ihr vorbeilaufen. Elche, muss man wissen, können Menschen gefährlicher werden, als man vermutet. Besonders wenn sie ein Junges dabeihaben. Wir folgen dem Weg nach unten. Er macht einen Knick und führt direkt auf die Elche zu, die wir aber nicht sehen. Wir gehen zügig und reden, dass die Elchkuh uns hören kann. Vom Weg aus sieht man sie nur, wenn man weiß, dass sie da ist. Sie hat sich im Gebüsch hingelegt und ist gut versteckt. Nur an einer Stelle sehen wir sie kurz. Sie folgt uns aufmerksam mit ihren Augen, bleibt aber liegen. Nur kurze Zeit später stehen wir am Fluss.

Dem Video folgend bilden wir eine Kette (Johann vorne, Samuel hinten, ich in der Mitte) und steigen in das eiskalte Wasser. Entgegen dem Video haben wir unsere Schuhe ausgezogen, eigentlich sollte man sie anlassen. Das Wasser steht uns bis zu den Waden, dann bis zu den Knien und plötzlich stehe ich bis zur Unterhose drin. „Lauf!“ brülle ich Johann an. Die Strömung ist stärker als ich erwartet hätte und ich habe für einen kurzen Moment Angst, aus der Kette gerissen zu werden. Der Fluss ist nicht sehr breit, vielleicht 15m. Und doch sind unsere Füße danach erstmal taub vor Kälte. Leider war das nicht der einzige Fluss. Wir müssen einmal quer durch das Flussbett, durch mehrere Flussarme hindurch, die aber zum Glück nicht ganz so tief sind wie der erste. Unsere Füße sind gegen Ende jedes etwas breiteren Flusses so taub, das wir kaum spüren wohin wir treten und ich Angst habe, einfach abzurutschen und ins Wasser zu fallen nur weil ich nicht fühle wo ich hintrete. Endlich haben wir den ersten Fluss geschafft. Es geht über ein weiß blühendes Zwischenbett zu dem anderen Fluss hinüber. Wieder die Schuhe aus und ins Wasser. Samuel und mich treibt es abwechselnd an den Rand der Verzweiflung. Die vielen Flüsse, das tiefe Wasser, die teilweise starke Strömung, das Barfußlaufen und das eiskalte Wasser. Es ist nicht einfach Stellen zu finden wo wir einigermaßen hindurchkommen, ohne Gefahr zu laufen davongespült zu werden und während Samuel und ich mit blank liegenden Nerven und zitternd zwischen zwei Flussarmen stehen, läuft Johann hin und her und testet Stellen, wo wir hindurchkommen könnten. Er ist derjenige, der uns alle schließlich durch das Wasser und ganz auf die andere Seite bringt.

Ich bin froh um den Hügel, den wir dann hinaufklettern müssen, dabei wird mir wenigatens wieder warm. Es weht ein kalter Wind und obwohl die Sonne scheint ist es frisch. Der Untergrund ist weich und uneben, wir müssen ein kurzes Stück durch dichte Büsche, durch ein enges Flusstal und durch einen Bach (über den Johann uns Huckepack nimmt), auf der anderen Seite wieder hinauf und durch das nächste kleine Tal und den Gebirgsbach. Dann haben wir es erstmal geschafft mit Flüssen. Wir laufen am Berghang entlang und steigen ein bisschen weiter hinauf, bis wir den Denali sehen und einen Platz für unser Zelt in einer windgeschützten Kuhle finden, wo es von der Straße aus nicht sichtbar ist. Wir haben es nicht so weit geschafft wie wir wollten, wir waren für ca. acht Kilometer ungefähr sechs Stunden unterwegs aufgrund der Flüsse und des ungewohnten, manchmal schwierigen Geländes. Wir sind alle fix und fertig als wir in unsere Schlafsäcke kriechen.

Am nächsten Morgen scheint die Sonne und wir machen uns auf den Weg am Hang entlang bis dahin wo wir eigentlich gestern ankommen wollten. Das Zelt lassen wir stehen und nehmen nur einen Tagesrucksack mit. Wir sind frisch und haben wieder Freude am Laufen. Gestern schon haben wir aus weiter Entfernung eine Bärin mit drei Jungen gesehen. Der erste Grizzly heute lässt auch nicht lange auf sich warten. Er ist gute 200m entfernt und frisst friedlich von den Rauschbeeren, die es hier zuhauf gibt. Bald kommen wir an einen steilen Abhang. Von der Anhöhe auf der wir stehen hat man einen wunderbaren Blick auf zwei Flusstäler, den Denali, andere schneebedeckte Gipfel und einen großen Gletscher, der das Tal vor uns hinabrollt. Er ist schwarz, bedeckt von Steinen und Sedimenten, die er auf seinem Weg mitgenommen hat. Nur einzelne steile Eisplatten lassen erahnen, dass die vielen kleinen Berge auf dem riesigen Gletscher aus Eis bestehen. Die Aussicht ist gigantisch. Wir bleiben eine ganze Weile und machen Fotos, der schneidende Wind treibt uns dann langsam wieder zurück.

Wir sind schon in der Nähe unseres Zeltes als wir über eine kleine Hügelkuppe laufen und abrupt stehen bleiben. „Holy“ höre ich Samuel neben mir sagen. „Oh, Bär“ entfährt es mir selbst. 20m entfernt steht ein Grizzly und lässt sich die Beeren schmecken. Er hat uns nicht bemerkt obwohl wir uns unterhalten haben. Wir gehen ein paar Schritte rückwärts und dann einen Bogen nach rechts, während sich der Bär in die andere Richtung bewegt, immer den Kopf am Boden und fressend. Dadurch dass wir einen Bogen gelaufen sind, stehen wir plötzlich im Wind. Der Bär hält inne, dreht sich um, stellt sich auf seine Hinterbeine und sieht uns für ein paar Sekunden an. Wir sind noch immer recht nah beieinander, vielleicht 40m. Dann lässt er sich auf alle Viere fallen und läuft davon, bis er einen für ihn angenehmen Abstand zu uns hat. Dort bleibt er stehen und frisst weiter als sei nichts gewesen. Ich spüre das Adrenalin noch durch meine Adern schießen. Der war richtig nah. Aber gleichzeitig gibt mir diese Begegnung Ruhe und Sicherheit. Ich war seit wir in Kanada ankamen immer ein bisschen ängstlich was Bären betraf. Dank dieses Bären durfte ich endlich selbst die Erfahrung machen, dass Bären kein Interesse daran haben, Menschen sehr nahe zu kommen und dieses Wissen beruhigt mich und nimmt mir die Angst vor diesen wunderbaren Tieren. Es ist eine eindrückliche Erfahrung, jeden Tag Wildtieren zu begegnen oder sie zu sehen, zu wissen dass sie da sind und sich die Umgebung mit ihnen zu teilen.

Ich glaube es ist der gleiche Bär, der mich am nächsten Tag beim Hände waschen an einem kleinen Bach überrascht. Johann sieht ihn kommen. Doch diesmal nimmt er kaum Notiz von uns. Während ich den Rückzug antrete, geht er schnurstracks auf den Bach zu, überquert ihn ein Stückchen weiter oben und verschwindet hinter dem nächsten Hügel. Wir schultern unsere Rucksäcke und machen uns, dem Berghang folgend auf den Weg in eine andere Unit. Es geht durch zwei glasklare Bergbäche und wir dürfen nochmal einen Bären beobachten. Dann geht es durch den Fluss, den wir vor zwei Tagen schon durchqueren mussten. Der große Unterschied ist, dass wir uns ein gutes Stück weiter flussaufwärts befinden, wo der Fluss noch nicht so groß ist und weniger Wasser führt. Diesmal dauert es nicht ganz so lange, bis wir alle durch sind.

Am nächsten Tag geht es wieder nur mit Tagesrucksack in ein Bergtal hinein, immer an einem tiefen und schmalen Canyon entlang, den ein Fluss in den Stein gegraben hat. Es ist eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Den Denali sehen wir von hier zwar nicht mehr aber die Umgebung ist trozdem wunderschön. Wir sehen die Straße und das Visitor Center nicht mehr. Sonst haben wir beides die meiste Zeit gesehen, weil die Straße recht hoch verläuft und der Center hoch liegt und die Täler in denen wir uns befanden überblickte. Zu unserer Linken steigt das Land schnell steil an und formt kleine Gipfel und lange Grate. Rechts von uns schlängelt sich der Fluss durch den engen Canyon und von der anderen Seite fließen kleine Bäche die steilen Hänge hinab und speisen den Fluss. Wir folgen dem Canyon bis zu einem Bach an dem wir kochen, bevor wir uns wieder auf den Rückweg machen.

Wir haben den Weg zum Visitor Center vor uns. Flussdurchquerung steht auf dem Programm. Eine Bärin und ihr Junges begleiten unsere Aussicht für eine Weile. Wir rutschen und schlittern einen Geröllhang zum Fluss hinab, der jetzt, nach vier Tagen, ein ganz anderer ist. Er ist nicht mehr braun von dem vielen Regen, sondern türkisblau, seine vielen Nebenarme sind verschwunden, er ist lange nicht mehr so reißend. Wir überqueren ihn an der gleichen Stelle wie beim Hinweg, müssen aber diesmal nur für einen kurzen Teil die Schuhe ausziehen. Dort, wo mir das Wasser bis zur Unterhose gestanden hat, reicht es mir jetzt nur noch bis knapp übers Knie. Ohne Schwierigkeiten schafft es jeder für sich durch das Wasser. Was es doch für einen gewaltigen Unterschied macht, wenn es lange geregnet hat, bzw. wenn es ein paar Tage nicht regnet. Schneller als erwartet erreichen wir das Visitor Center, wo wir einen Teil unseres Essens gelassen haben und unsere Vorräte aufstocken und zu Mittag essen wollen. Gerade erklärt eine Rangerin, die einen etwa 1,5 Km. langen Spaziergang anbietet, etwas über die Umgebung. Eine Frau meldet sich und fragt nach dem richtigen Verhalten, wenn man einem Bären begegnet. Ich muss in mich hineinschmunzeln. „Auf den paar hundert Metern werdet ihr jetzt schon keinem Bär begegnen.“, denke ich mir. Wenige Minuten später kommt eine Bärin mit zwei Kleinen auf das Visitor Center zu. Alle Leute werden von den Trails gerufen, nur wenig später rennen alle drei im Schweinsgalopp über den Trail, auf dem gerade noch Leute liefen. Sie begnügen sich kurz mit ein paar Beeren, dann entdecken die Kleinen die kurzen Pföstchen, an denen Seile zu Markierung des Weges befestigt sind und machen sich im Handumdrehen an die Arbeit. Mit Geschick entknoten sie das Seil am einen Ende und beginnen sich vor lauter Freude, das Seil zwischen Krallen und Zähnen, auf dem Rücken herumzuwälzen. Doch wie es bei Geschwistern so ist: Beide wollen das Seil für sich haben und einer muss sich mach einem kurzen Streit geschlagen geben und von Dannen ziehen, während der andere fröhlich weiterspielt. Die Bären wandern einmal um das Center herum und als sie irgendwann auf den Parkplatz spaziert kommen, auf dem alle Busse stehen, werden alle Leute nach drinnen geschickt.

Zu unserem Pech machen sich die drei auf genau den Weg, den wir gerne gehen wollten, um in unsere nächste Unit zu kommen. Der Weg ist erstmal geperrt und wir müssen einen Bus nehmen, der uns an einer geeigneten Stelle aussteigen lässt. Wir gehen ein Stück und bauen dann unser Zelt auf. Wir sind allein, ohne Straße, inmitten der Tundra, die schon die ersten Herbsttöne anklingen lässt.

Wir entschließen uns, schon am nächsten Tag die Unit wieder zu verlassen, weil das Wetter wieder schlechter werden soll und wir ein bisschen Zeit brauchen, die letzte Woche mit Samuel zu planen. Ich wäre gerne noch länger geblieben. Die Schönheit der Natur hat sich tief in eingeprägt und hat den Denali-Nationalpark zu einem meiner Landschafts-Lieblingsziele dieser Reise gemacht.

Als wir zurückkommen regnet es wieder und am Tag darauf flüchten wir nach Fairbanks. Dort soll die Sonne scheinen und Michaela hat uns angeboten, ein paar Tage bei ihr zu verbringen. Nachdem auch der letze Versuch, wenigstens eine dreitägige Kanutour zu unternehmen gescheitert ist, denken wir uns ein Ersatzprogramm aus. Wir wollen nach North Pole, einem Ort außerhalb von Fairbanks. Es ist aber nicht irgendein Ort. Es ist die Somerrsidenz vom Weihnachtsmann und seiner Frau, wo es Rentire und einen ganzjährigen Weihnachtsladen gibt, wo die Wunschzettel der Kinder ankommen und wo man dem echten Santa Claus seine Wunschliste überreichen und weise Sprüche gesagt bekommen kann. Das dürfen wir uns natürlich nicht entgehen lassen und nach einem schönen halben Tag kanuen auf einem See ganz in der Nähe, besuchen wir noch den guten alten Santa Claus (siehe Bilder). Wir versuchen uns im Goldsieben an einem Fluss zu dem Michaela uns mit ihren Goldpfannen bringt. Immer wieder glitzert es verräterisch, wir finden aber kein Gold. Kurz bevor Michaela uns abholen kommt, kommen noch zwei richtige Goldschürfer mit Schaufeln und Eimern und machen sich an die Arbeit. Geben müsste es also was… Mein persönliches Fairbanks-Highlight ist die Hundeschlittentour am gleichen Abend. Wir zahlen einen ordentlichen Batzen Geld für den Spaß, aber es lohnt sich. Mit zwei anderen Neugierigen werden wir von Jeff, der schon öfter beim weltberühmten Iditatod-Rennen über 1000 Meilen (1600Km.) teilgenommen hat, herumgeführt, wir dürfen die gestern geborenen Hundewelpen sehen, mit den älteren Welpen Spaß haben und so viele Fragen stellen wie wir können (Johann kann kaum aufhören). Sie erzählen uns über das Fahren von Schlittenhunderennen, die körperlichen und mentalen Belastungen (Jeff schläft während des gesamten durchschnittlich 13-tägigen Iditarod-Rennens etwa 45 Minuten am Tag), die Hunde und das Training. Zu guter Letzt dürfen wir dabei helfen 14 Hunde vor einen ATV (Quad) anzuspannen, bevor die 30minütige, knapp fünf Kilometer lange Fahrt losgeht. Je mehr Hunde angespannt werden, desto lauter wird es. Sie bellen und jaulen, werfen sich in die Leinen oder springen wie Flummis auf und ab, bis sie endlich das ersehnte Zeichen bekommen. Die Sonne wirft gerade ihre letzten Strahlen durch die Bäume und lässt alles gelb leuchten. Vor uns geben sich die 14 Hunde ganz ihrer Leidenschaft hin und als es bergab geht, schaltet Jeff den Motor aus und unser Wagen wird leise. Es muss unglaublich sein, im Winter lautlos durch den Schnee zu gleiten und mit den Hunden zu rennen. Johann und mich packt die Begeisterung. Wir werden alles versuchen in Norwegen ein Workaway mit Schlittenhunden zu finden!

Wir bummeln durch Souvenir-Läden, schauen uns ein Museum an, gehen einmal abends (viel zu viel) essen, helfen Michaela ein bisschen aufzuräumen und kochen und backen für sie und für uns. Es ist sehr bequem wieder in einem Haus und einem Bett zu schlafen und bei Michaela geht es uns sehr gut. Sie lässt es sich nicht nehmen, ab und an ein Frühstück vorzubereiten und als wir an unserem letzten gemeinsamen Tag zu dritt in die Chena Hot Springs gehen, kaufen wir ihr eine Zehnerkarte, die wir ihr zum Schluss mit einer Karte überreichen. So heißes Wasser wie dort gibt es bei uns glaube ich normalerweise nicht in Thermalbädern. Das Wasser hat 42ºC und man hält es wirklich nicht sehr lange darin aus, selbst wenn man nur mit dem Unterkörper drin steht. Mir ist noch bis zum nächsten Nachmittag schwindelig.

Die vier Wochen mit Samuel vergehen wie im Flug und schon ist der Tag gekommen, an dem wir uns verabschieden müssen. Wir gehen nochmals ein richtig großes Eis essen, bevor wir Samuel zum Flughafen bringen und uns bei der Sicherheitskontrolle schweren Herzens verabschieden.

Es waren sehr intensive vier Wochen, die manchmal auch anstrengend und schwierig waren. Es sind eben drei Leute, alle mit unterschiedlichen Vorlieben und Vorstellungen, die Entscheidungen treffen und Kompromisse eingehen müssen. Und wer uns kennt (Elias kann in Lied davon singen) weiß, dass wir alle nicht sonderlich entscheidungsfreudig sind. 😉 Trotzdem waren die vier Wochen mit Samuel sehr schön und wir haben sie sehr genossen. Es war schön, Besuch von einem Teil meiner Familie zu bekommen und meinen Bruder nach so langer Zeit wiederzusehen. Wir haben extrem viel gesehen und gemacht und wundervolle Momente zusammen gehabt. Danke dass du da warst Samuel!

Rebecca und Johann

(Rebecca)

Zweieinhalb Wochen zu viert

Nach einer kurzen Nacht hinter dem Sportzentrum in Fairbanks mit Elias, verbringen wir den nächsten Tag mit Einkaufen, essen 3 Kilogramm Eis zu dritt und planen die kommenden Wochen mit Samuel, Rebeccas Bruder. Nachdem nun sicher ist, dass die Kanutour aufgrund des zu niedrigen Wasserstands nicht stattfinden wird, werden wir zweieinhalb Wochen zusammen mit Elias unterwegs sein und dann noch zwei Wochen zu dritt mit Samuel schauen was wir machen.

Im Visitor Center schleicht die ganze Zeit eine Mitarbeiterin um uns herum und versucht uns weiterzuhelfen. Als sie fragt wo wir schlafen, sagen wir ihr, dass wir wie die Nacht davor, hinter dem Sportzentrum auf dem Parkplatz übernachten werden. Darauf erwidert uns die Frau, die sich uns als Michaela vorstellt, dass sie das nicht zulassen kann, dass sie allerdings an einem See und Grundstück ein bisschen außerhalb von Fairbanks lebt und wir herzlich gerne bei ihr schlafen können. Das Angebot nehmen wir glatt an und fahren nach ihrem Feierabend mit ihr heim. Dort werden wir von zwei Hunden begrüßt und in die Holzhütte neben ihrem Haus gebeten, wo wir es uns gemütlich machen sollen. Gesagt getan. Danach verbringen wir die halbe Nacht bei Michaela im Haus und reden. Am Morgen werden wir mit einem Frühstück mit Toast, Ei, Speck und Obstsalat begrüßt und bekommen unglaublich leckere selbstgemachte Blaubeermuffins mit auf den Weg. Wir fühlen uns wie zuhause. Eher besser! Und dazu kommt, dass heute der Tag gekommen ist, an dem Samuel ankommt. Am Abend ist es dann soweit und Rebecca sieht ihren Bruder nun wieder das erste mal nach über eineinhalb Jahren. Ich natürlich auch. Und schon geht es los. Wir haben uns zusammen entschlossen, zuerst den Dalton-Highway nach Deadhorse ganz im Norden von Alaska am Nordpolarmeer, zu fahren. Noch am ersten Tag kommen wir ein gutes Stück raus aus Fairbanks und übernachten auf einem Zeltplatz im Wald an einem Fluss. Es regnet. Genau an dem Tag, an dem Samuel kommt, schlägt das Wetter um und die zweimonatige Trockenperiode ohne einen Regentropfen und mit Temperaturen über 30 Grad, wird durch Regen abgelöst. Auch die Wettervorhersage lässt einem kaum Hoffnung auf Sonne.

Die folgenden 800 Kilometer bis zum Ende der Straße sind trotz des zwar nicht miserablen, aber dennoch sehr durchwachsenem Wetter, sehr interessant. Zunächst geht es durch schier endlose Waldlandschaft. Es geht immer wieder über Bäche und Flüsse, an mehr oder weniger verbrannten Waldabschnitten vorbei und dann über den sagenumwobenen Yukon. Der fast ein Kilometer breite Fluss zieht seine unzähligen Schleifen durch das Land und bildet eine natürliche Schneise, die man nur über lange Brücken überqueren kann. Hier scheint er seine klare, sprudelnde Jugendlichkeit verloren zu haben, wie wir sie in Kanada beobachten konnten. Er ist groß, breit, ruhig und braun. Er ist erwachsen geworden. Seine Lebendigkeit hat er verloren. An Ruhe gewonnen. Und dennoch ist es noch ein langer Weg bis zu seinem Tod. Seiner Auflösung. Seines Verschmilzens mit dem Meer. Ein beeindruckender Fluss.

Der Wald löst sich langsam auf. Nur noch mannshohe Bäume säumen die nur teilweise asphaltierte Straße. Und gerade denkt man, dass man nun bald die baumlose Tundra erreichen wird, da beginnt auch schon wieder der Wald. Wir halten, essen zu Mittag, angeln ein oder zwei Äschen und fahren dann weiter. Wir fahren über den Polarkreis. Es wird bergiger. Wir kommen in die Brooks Range. Die Straße schlängelt sich an rauschenden Flüssen entlang. Dann auf einen Pass hinauf. Weites Land. Sehr weit. Immer wieder kommen einem LKWs entgegen, die Güter zwischen Fairbanks und Deadhorse transportieren, wo die Ölindustrie boomt. Auch andere Touristen mit ihren Autos und Campern sieht man immer wieder. Genauso wie die Pipeline, die mehr oder weniger parallel zur Straße verläuft und das Öl aus Deadhorse nach Valdez an der Südküste befördert. Nördlich der Brooks Range haben wir nun wirklich die Tundra erreicht. Das erste nennenswerte Tier, das wir auf dieser Strecke sehen, ist ein Polarfuchs. Wir halten an und beobachten ihn. Als wir aussteigen lässt er die acht Mäuse, die er im Maul hatte, fallen und rennt im Eiltempo davon. Noch am gleichen Tag steht das am Straßenrand, was Elias unbedingt sehen wollte: Moschusochsen. Im Visitor Center in Fairbanks sagte man uns noch, dass die Moschusochsen weit draußen in der Tundra, fern von der Straße seien. Bei uns jedoch nicht. Direkt neben der Straße grast eine Gruppe von etwa 15 Tieren mit Jungen. Die mit ihrem zotteligen Fell sehr urig aussehenden Tiere sind tatsächlich viel kleiner, als wir alle vier dachten. Wir beobachten sie eine Zeit lang und fahren dann weiter. Dann, genau dort wo wir unser Nachtlager aufschlagen wollen, steht erneut eine Gruppe Moschusochsen. Auf einer Insel im Fluss mit den Bergen im Hintergrund bieten sie ein perfektes Bild. Wir schlagen unser Zelt am Ufer auf, während Elias noch am fotografieren ist. Doch dann macht sich die kleine Herde auf den Weg von der Insel ins Gebüsch. Sie sind weg und es bleibt die Erinnerung. Eine schöne Erinnerung.

Am folgenden Tag fahren wir bis Deadhorse. Auf dem Weg sehen wir Kraniche und vereinzelte Rentiere, die sich, nicht mit den großen Herden auf den Weg nach Süden gemacht haben. In der Ferne der pottebenen Landschaft erscheinen irgendwann die Fabrikgebäude von Deadhorse. Und sonst gibt es auch nichts. Es gibt zwei Tankstellen, einen Souvenirladen, eine handvoll Hotels und einen kleinen Flughafen. Sonst nichts. Es ist hässlich. Containerburgen als Wohnungen für die Arbeiter, die hier zwei Wochen arbeiten und dann zwei Wochen zuhause sind. Alles dreht sich um’s Öl. An das Nordpolarmeer kommt man nicht. Das gesicherte Gelände bildet eine Mauer zwischen Straßenende und Meer. Einzige Lösung ist eine zweistündige Bustour durch die Ölfabrik durch, zum Meer hin, wo man bei Nieselwetter und Wind ein kleines Bad nehmen kann und wieder hinausfährt. Wir entscheiden uns gegen eine Tour. Auch weil wir dann erst am nächsten Tag teilnehmen könnten und die Aussicht auf eine Nacht in oder bei Deadhorse keinem von uns wirklich zusagt. Also machen wir uns nach dem Füllen des Tanks wieder auf den Weg gen Süden, auf dem bis auf eine Elchsichtung nichts Nennenswertes passiert.

Nach insgesamt einer Woche kommen wir wieder in Fairbanks an. Es regnet in Strömen und wir lechzen alle nach Wärme. Wir überlegen uns, eine der umliegenden Thermalbäder zu besuchen, doch das was uns am meisten zusagen würde, hat leider geschlossen. Also gehen wir nach Hause, zu Michaela, und übernachten eine Nacht im Warmen und Trockenen. Michaela schlägt uns vor, noch länger als nur diese eine Nacht zu bleiben. Ich glaube, sie hat gerne jemanden um sich, da sie außer ihren zwei Hunden niemanden hat. Wir möchten jedoch weiter in den Süden in Richtung der Kenai-Halbinsel, da wir gesehen haben, dass es dort sehr sonnig sein soll. Michaela geht sicher, dass wir wieder kommen, da sie uns anbietet, ein paar Dinge bei ihr zu lassen, die wir nicht brauchen, um sie später abholen zu kommen. Gesagt getan. Wir deponieren ein paar Dinge und fahren am folgenden Tag los. Gegen Abend kommen wir am Montana River an, wo ich gelesen habe, dass es dort Lachse geben soll. Die Fahrt war an diesem Tag nicht besonders spannend. Der Highway zwischen Fairbanks und Anchorage ist nicht atemberaubend und das Wetter auch nicht. Hier am Montana River regnet es zumindest nicht mehr. Gleich nach dem Aufstellen des Zeltes gehen wir hinunter zum Fluss und trauen unseren Augen kaum. Der Fluss ist gefüllt mit Lachsen. Vor allem Buckellachse stehen im Fluss. Dazwischen der ein oder andere knallrote Königslachs und die ersten Silberlachse sind auch schon auf dem Weg in die Flüsse. Elias und ich versuchen unser Glück und wir fangen tatsächlich ein paar. Schnell merken wir aber, dass die nicht mehr genießbar sind. Die teilweise vollkommen zerfledderten und angefaulten Tiere sind bereit zum Sterben. Bei ihrem unglaublichen Kraftakt, dem Hinaufschwimmen der Flüsse, stecken sie all ihre Energie im die Eier und das Schwimmen. Das Fleisch leidet und sie verfaulen im wahrsten Sinne des Wortes, bei lebendigem Leibe. Manche Lachse schwimmen die über 4000 Kilometer den gesamten Yukon hinauf, während andere nur wenige Kilometer aus dem Meer bis zu ihrem Laichplatz haben. Und je näher sie zu ihrem Laichplatz kommen, desto mehr verändern sie sich in Hinsicht auf Form, Farbe und Essbarkeit. Von nun an in Richtung Süden, ist jeder kleine Bach gefüllt mit Lachsen. An manchen Stellen liegen viele tote Lachse, wobei sich nun jeder selbst vorstellen kann, wie das wohl riecht.

Wir fahren bei Sonnenschein, so wie es vorhergesagt war, durch Anchorage. Eine Stadt, die auf den ersten Blick uninteressant aussieht und vor der wir aufgrund von Gangaktivitäten gewarnt wurden. Und wir verlassen Anchorage auch gleich wieder. Wir fahren an einer Meeresbucht entlang, in der sich kaum Wasser befindet, da gerade Ebbe ist. Bekannt ist die Bucht durch die sogenannte „Bore Tide“, die jedes mal entsteht, wenn die Flut einsetzt und das Wasser in einer bis zu zwei Meter hohen Welle, beginnt die Bucht zu fluten. Die kommenden Tage fahren wir immer weiter Richtung Süden. Das Wetter könnte man als traumhaft bezeichnen. Wir verbringen zwei Nächte an zwei verschiedenen Seen. Der eine ganz klar, in den nur durch einen kleinen Bach, jedes Jahr über 33 000 Rotlachse schwimmen. Der andere mit türkisblauem Gletscherwasser, durch den der Kenai River fließt. Auf dem Weg zwischen den beiden Seen fahren wir an einem Schwarzbär vorbei, der gerade versucht hatte, die Straße (es war ein Schotterweg) zu überqueren. Wir kommen direkt neben ihm zum Stehen und er schaut etwas verdutzt in die Autofenster, hinter denen unsere genauso verdutzten Gesichter zurückblicken. Dann schlendert er in aller Seelenruhe vor dem Auto über die Straße und verschwindet im Wald. So stellt man sich Alaska vor oder? Berge, Lachse und Bären! 🙂

Unser nächstes Ziel heißt Homer und liegt ganz im Süden der Kenai-Halbinsel. Homer liegt auf einem ganz dünnen langen Streifen, der mehrere Kilometer lang ist. Wenn ich Homer mit einem anderen Wort beschreiben müsste, würde ich das Wort „Parkplatz“ nehmen, denn tatsächlich bestehen gefühlt zwei Drittel der Fläche Homers aus Parkplätzen, die zudem auch noch gefüllt sind. Wem die ganzen Autos gehören weiß keiner, denn überfüllt von Menschen ist Homer nicht gerade. Dennoch gibt es in Homer ein paar nette Läden und eine sauteure, sauleckere Eisdiele. Noch am gleichen Tag verlassen wir Homer und machen uns auf den Weg nach Seward, einer kleinen Stadt weiter im Norden. Auf dem Weg dorthin überqueren wir den Kenai River, in dem ich einen stattlichen Rotlachs fange. Hier sind die Lachse noch gut essbar und das merkt man. An zwei verschiedenen Tagen essen wir den Lachs zu viert auf, der wunderbar schmeckt. Es ist gerade die Zeit der Rot-, Buckel- und Hundslachse. Die Königslachse sind schon durch und die Silberlachse kommen erst noch. Ein Fischzähler am Kenai River zählt, wie viele Lachse den Fluss hinaufschwimmen. Zu der Zeit zu der wir hier sind, schwimmen täglich zwischen 40.000 und 100.000 Rotlachse den Fluss hoch. Allein Rotlachse. Es ist kaum vorstellbar.

In Seward verbringen wir eine Nacht auf dem örtlichen Campingplatz, bummeln durch die Läden und planen ein bisschen zu dritt, was wir die zwei Wochen vor Samuels Rückreise machen, die wir ohne Elias verbringen werden. Ein Besuch des nahegelegenen Exit-Glaciers bleibt natürlich auch nicht aus. Gegen Abend kommen wir am Parkplatz an und spazieren bis zur Gletscherzunge. Auf dem Weg dorthin sind immer wieder Schilder mit Daten angebracht, die anzeigen, wo der Gletscher wann war. Es ist beeindruckend und erschreckend zugleich, wie schnell und wie weit der Gletscher die letzten Jahre und Jahrzehnte zurückging. Die Nacht verbringen wir in einem riesigen trockenen Flussbett. Wir essen, machen ein Feuer gigantischen Ausmaßes, an dem vor allem Elias und ich Freude haben und spielen dann Dog am Feuer, das wir Elias auf den Tisch gemalt haben. Als Spielfiguren dienen Steine und im amerikanischen Stil, Patronenhülsen, die man hier in Alaska beinahe überall finden kann. Ja, die Leute scheinen schon sehr schusswaffenaffin zu sein. Einmal sind wir durch den Wald auf einem Wanderweg gelaufen, da kam uns doch tatsächlich ein Mann in Tarnanzug mit Gewehr im Anschlag entgegen. Seine kleine, schätzungsweise fünf Jahre alte Tochter hinterher. Ein anderes mal, an einem Aussichtspunkt zu einem Wasserfall, war da ein Mann mit Familie, der eine Pistole um den Bauch trug. Und auf einem Camper haben wir ein Schild gesehen, auf dem stand: „Family on Board!“ Darunter ein großes Gewehr und daneben immer kleiner werdend drei weitere Schusswaffen. Ja, wir sind im Land der Waffennarren. Jedenfalls hatten wir noch einen schönen Abend zusammen.

Auf dem Weg nach Anchorage, wo sich unsere Wege trennen würden, machen wir noch für eine Nacht Halt am Portage Glacier bei Whittier. Während Samuel und Rebecca die Kleinstadt Whittier unsicher machen, fangen Elias und ich noch einen Silberlachs aus dem Meer, der zwar nicht ganz so gut ist, wie der Rotlachs, sich aber durchaus schmecken lässt. Das Frühstück am Morgen darauf machen wir nach einer kleinen Wanderung auf einem Aussichtspunkt, von wo man den Portage Gletscher aus sehen kann.

Wir verbringen dann nochmal eine Nacht zusammen in einem Flussbett und trennen uns etwa eine Stunde nördlich von Anchorage. Wir hatten zweieinhalb schöne und manchmal auch nicht ganz einfache Wochen zusammen auf der Straße und wir wünschen uns noch alles Gute. Elias bekommt jetzt Besuch von seinen Eltern und wir machen uns auf zum Denali-Nationalpark, wo wir im Hinterland wandern möchten. Dazu dann das nächste Mal mehr…

Liebe Grüße aus Alaska 🙂

Rebecca, Samuel und Johann

(Johann)

„My first job is to keep you alive“

Wir sind für insgesamt sieben Wochen bei Gail und Dirk auf der Ranch. Eigentlich hatten wir nur mit vier bis fünf Wochen gerechnet, doch wir konnten schon eine Woche früher kommen als geplant weil wir so schnell voran kamen und gegen Ende unseres Workaways wurden dann unsere schönen Pläne für die folgenden Wochen mit meinem Bruder über den Haufen geworfen und wir mussten neue schmieden. Für die geplante dreieinhalbwöchige Kanutour ist der Wasserstand im Fluss, an unserer Erfahrenheit gemessen, zu niedrig und uns wird ans Herz gelegt, etwas anderes zu machen.

Aber erstmal von vorne: Wir hatten schon lange bevor wir überhaupt ankamen regen Emailkontakt mit Gail. Es war das erste Mal bisher, dass der Emailkontakt für ein Workaway so einfach gelaufen ist. Wir fühlen uns von Anfang an, noch bevor wir die beiden überhaupt treffen, sehr willkommen. Dieses Bild wird von Gail als sie uns abholt zu 100% bestätigt. Wir fühlen uns bei ihr und auf der Ranch pudelwohl. Es gibt sehr leckeres Essen, die beiden sind freundlich und dass wir etwas mehr arbeiten macht uns nichts aus, weil wir spätestens jeden Abend ein herzliches „Danke“ bekommen. Wir bekommen drei Seiten Richtlinien, an die wir uns halten sollen und drei Seiten was wir täglich zu tun haben. Jeden Morgen und jeden Abend versorgen wir die Tiere. Es sind 10 Mutterkühe, 10 Kälber, 2 Bullen und 6 Jährlinge, 36 Schweine, 35 Pferde, ca 40 Hühner, ca 100 Fleischhühner und ein Hund. Wir kümmern uns um Wasser und Futter, lassen die einen Pferde abends auf die Weide, bzw. holen sie morgens wieder in einen kleineren Bereich, füttern andere mit Heu, geben Extrafutter und den Kühen ihr Getreide. Nach den „Chores“ essen wir meistens Frühstück, bevor wir verschiedene Aufgaben für den Tag bekommen.

Besondere Freude haben wir an den Schweinen, die man wunderbar ärgern kann, indem man ihnen an den Nacken fasst, worauf manche von ihnen quiekend davonrennen. Sobald man in ihr Gehege kommt, laufen sie einem grunzend hinterher, strecken einem ihre Rüssel entgegen oder wischen sie an Hosen ab. Sie jagen sich gegenseitig mit Gebell durch die Gegend, haben riesige Freude wenn man ihnen das Wasser für ihren Pool andreht oder wenn man ihnen frisches Heu oder Gras bringt. Es sind schlaue und neugierige Tiere. In ihrer kleinen Hütte liegen sie nachts immer im Stroh (ihr Geschäft erledigen sie draußen) – und erschrecken fürchterlich wenn man abends oder morgens plötzlich in ihrem Gehege herumläuft um das Wasse aus- oder anzustellen. Wenn sie sich dann gähnend aufsetzen (ja, sie sitzen manchmal einfach da wie ein Hund), sieht man ihre kleinen spitzen Zungen herausschauen. Sie sind einfach niedlich. Zu unseren Aufgaben gehört es auch, ihre Futterspender, die den Schweinen zu jeder Tageszeit zugänglich sind, mit Getreide zu füllen (am Anfang noch alle drei Wochen, am Ende spätestens jede Woche) oder extra Holzbretter an ihren Zaun zu nageln, wenn sie mal wieder dabei sind sich ein Loch nach draußen zu graben. Wir sind über den Tag mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt, manchmal halten sie uns den ganzen Tag auf Trab, manchmal ein bisschen weniger. Wir helfen, den Fleischhühnern ein Außengehege zu bauen, zäunen, legen Wasserschläuche für ein Wassersystem, misten Hühnerställe, helfen beim Stapeln der Heuballen, mahlen Getreide für die Tiere und helfen bei den Camps.

Während der Schulzeit sind wir unter der Woche tagsüber alleine, da Dirk und Gail noch zusätzlich arbeiten und es ist ein bisschen ruhiger. Am Wochenende werkeln wir meistens mit Dirk an irgendetwas herum. Da Gail in der Schule als Assistentin arbeitet, hat sie die Schulferien frei. Dann beginnen die Camps. Sie hatte mich schon früher gefragt, ob ich da gerne mithelfen würde und ich habe freidig zugestimmt. Es sind im Prinzip Reiterferien, mal ohne Übernachtung drei Tage, mal mit Übernachtung fünf Tage. Ich muss sagen dass ich ein bisschen verdutzt bin als Gail die Namen der Helfer aufzählt. Wir sind insgesamt fünf. Für sechs Kinder. Als erstes bekommen die Kinder einen Helm auf, auch wenn wir zuerst die Tiere versorgen. Sie dürfen den Helm nur zum Essen und dann abends abziehen. Bei jeder Regelbesprechung zu Beginn eines Camps erklärt Gail dass sie vier „Jobs“ habe: „My first job is to keep you alive.“ (Meine erste Aufgabe ist, dass ihr am Leben bleibt). Ich muss gestehen, beim ersten Mal habe ich (und auch die Kinder) gelacht, weil ich dachte es sei ein Scherz. Ist es aber nicht. Gail ist todernst. Ihre zweite Aufgabe sei, dass ihre Pferde glücklich sind, die dritte, dass die Kinder etwas lernen und die vierte, wenn alle anderen Aufgaben befolgt sind, dass die Kinder Spaß haben. Die Kinder sind übrigens zwischen neun und 13 Jahren alt. „Safety“ ist die höchste Priorität auf der Farm, was die Kinder betrifft. Ich weiß nicht, ob die rechtlichen Konsequenzen so viel strenger in Kanada als in Deutschland sind, jedenfals hat Gail eine ungeheure Angst davor, dass einem der Kinder etwas zustößt, für das sie rechtlich belangt werden kann. Schlechte Erfahrungen habe sie bisher noch nicht gemacht, sagt sie auf meine Nachfrage hin. Am Morgen, nachdem die Chores gemacht, gefrühstückt ist und die Pferde geputzt sind, wird bei den Camps mit Übernachtung immer voltigiert. Eines der Pferde mag die Ausbinder (Hilfszügel, die beim Voltigieren traditionell genutzt werden) nicht und läuft ohne sehr gut. Dennoch will Gail auch bei diesem Pferd Ausbinder benutzen weil „es so im Buch steht und wenn ein Kind runterfällt und sie nicht alle Ausrüstung dem Buch gemäß genutzt hat, dann…“ Beim Voltigieren dürfen keine zwei Kinder auf ein Pferd, weil im Buch steht, dass die Kinder dazu keine Helme tragen dürften, weil diese sich sonst ineinander verhaken könnten. Aber ein Kind (bzw. zwei) ohne Helm aufs Pferd geht auch nicht. Vielleicht bin ich auch zu kritisch, was das ganze betrifft, ich habe mit einer anderen Person zusammen 20 Kinder betreut, die einfach herumspringen konnten und mehr oder weniger machen konnten was sie wollten, hier müssen die Kinder sogar Bescheid sagen wenn sie nur aufs Klo gehen oder eine Jacke aus der Holzhütte in der sie schlafen holen wollen (beides keine 100 Meter entfernt). Die Kinder können gar nichts selbst tun und lernen. Der ganze Tag ist durchgetaktet. Es ist kaum genug Zeit zu essen, jeder nimmt sich und futtert drauf los. Auf einen Programmpukt folgt der nächste und rennen die Kinder abends mal ein bisschen herum und haben Spaß, werden sie reingerufen weil es an der Zeit ist einen Film zu gucken. Regnet es, machen sich alle Sorgen, weil es schlammig und rutschig wird. Tatsächlich werden die Camps für mich manchmal ein bisschen zu einer Herausforderung, wegen der vielen (für mich nicht immer nachvollziehbaren) Regeln, dem durchgetackteten Programm, das nicht flexibel ist und das genau so eingehalten muss und dem Gefühl, dass ich irgendwie überflüssig bin, alleine durch die Anzahl der Helfer. Man hat natürlich trotzdem die ganze Zeit zu tun, denn die Kinder müssen immer superviced werden, egal was sie tun, auch wenn sie nur den Hühnern Gras durch den Zaun füttern. Ich traue meinen Ohren kaum als ich Gail sagen höre, dass wir am nächsten Tag gut noch eine Hand gebrauchen könnten. Für ein Camp sind wir sogar sieben Helfer (Gail eingeschlossen). Die Camps starten eine Woche nachdem wir ankommen.

Doch nicht nur die Camps bereiten uns zunehmend Schwierigkeiten. Johann hilft nicht mit den Camps sondern drumherum, manchmal arbeitet er mit Dirk. Das ist nicht immer ganz einfach. Manchmal erklärt er Dinge und man macht sie wie er will und dann möchte er sie doch anders. Fährt er mit dem Traktor, wird er schnell ungeduldig, wenn man ihm nicht auf der Stelle die Tore öffnet. Auch wenn man etwas nicht gleich versteht, reagiert er gereizt und manchmal scheint er auch einfach so von uns genervt oder ist einfach schlecht gelaunt. In den drei Seiten Richtlinien, die wir bekommen haben, schreiben sie, dass sie 35 Stunden in der Woche erwarten, tatsächlich erwarten sie aber mehr. 35 Stunden arbeite ich, wenn Camp ist, in drei Tagen. Gail und Dirk pflegen zu sagen, dass sie nicht wollen, dass wir den ganzen Tag arbeiten, allerdings finden sie gerne, sobald sie einen sitzen und ausruhen sehen, etwas neues das getan werden muss. Und mir fällt es schwer solche Dinge aufzuschieben. „Lass es uns lieber gleich machen und dann haben wir unsre Ruhe.“ Falsch gedacht, das nächste Projekt wartet schon. Die wenigen freien Tage, an denen wir trotzdem morgens und abends die Tiere versorgen, müssen wir gefühlt am folgenden Tag wieder aufholen, indem wir den ganzen Tag beschäftigt werden. Tatsächlich haben wir ab einem gewissen Punkt das Gefühl, dass vieles nur dahergesagt ist, ohne es wirklich zu meinen. In Europa reden wir gerne von der Oberflächlichkeit der Amerikaner. Hier meinen wir sie zum ersten Mal richtig zu erleben. Gail ist in den Staaten aufgewachsen. Oft haben wir das Gefühl, dass viel gesagt wird, weil man es sagt, aus Höflichkeit, damit die Oberfläche stimmt. Das immer gleiche abendliche „Thank you for all your hard work today.“ über das wir uns anfangs so sehr gefreut haben, wird für uns irgenwann nur noch zu einer nichtsmeinenden Floskel. Es ist natürlich nicht richtig, den beiden zu unterstellen, dass es nicht ernst gemeint war. Was ich sagen will ist, dass es für uns irgendwann nicht mehr ehrlich ankam. Versprechungen von Freizeit, mit den Pferden mal zu einem See zu fahren oder uns das Geld für eine Augensalbe zurückzuzahlen, die wir für ein Pferd kaufen mussten, werden nicht gehalten und sind deshalb, aus unserer Sicht, einfach nur dahergeredet. In einem Rundschreiben an alle Helfer lese ich, dass man, wenn etwas einem mal schlechte Laune bereitet, einfach die gute Laune „faken“ soll. Dabei geht es auch um zwischenmenschliche Probleme mit anderen Helfern. So werden die natürlich nicht gelöst. Auch gegenüber uns werden Schwierigkeiten nicht richtig angesprochen als ich einmal bei Gail herauszufinden versuche, warum sie oder Dirk manchmal ein bisschen genervt von uns scheinen. Dann ist alles nur top, Probleme gibt’s nicht. Es ist eine Wohltat, als für zwei Tage eine Argentinierin und ein Brasilianer da sind. Ihre Offenheit und Freude sind so erfrischend und ansteckend. Endlich können wir mal wieder Spanisch sprechen. Ja, Lateinamerika fehlt uns schon. Der Brasilianer ist schon die gesamte Strecke von Calgary in Kanada bis in den Süden von Argentinien geritten, jetzt vervollständigt er den Ritt von Fairbanks nach Calgary, seine Freundin fährt das gesponserte Wohnmobil.

Unsere Abreise zögert sich immer weiter hinaus. Irgendwie wollen wir gehen und irgendwie auch nicht. Einmal ist bei den Camps ein Mädchen als Helfer dabei, mit dem ich mich sehr gut verstehe und anfreude und ich darf mich, wenn ich frei habe, um zwei Pferde kümmern und mit ihnen Bodenarbeit machen, bzw. eines der beiden auch reiten. Das macht mir unglaublichen Spaß und hält mich wie ein Magnet. Auch nimmt mich Gail auf zwei „Clinics“ mit, eine Art Lehrgang. Der eine davon ist mit Josh Nichol, der ein bekannter „Horseman“ ist, Pferde trainiert und herumreist und Lehrgänge anbietet, die helfen, eine enge Beziehung mit seinem Pferd auf gewaltloser und für das Pferd verständlicher Ebene aufzubauen. Obwohl ich nur zuschaue, kann ich extrem viel mitnehmen von dem was er sagt. Und irgendwann kommt dann die Nachricht, dass unsere Kanutour mit meinem Bruder auf der Kippe steht. Wir bleiben noch mal eine Woche länger als wir eigentlich wollten um zu klären, ob die Kanutour stattfindet und falls nicht, was wir dann machen. Letztendlich rät uns unser Ausrüster abzusagen, das niedrige Wasser würde uns nicht sonderlich viel Spaß bereiten. Fünf Tage bevor mein Bruder kommt, machen wir uns auf den Weg. Es ist ein Abschied mit gemischten Gefühlen…

Unsere erste Mitfahrgelegenheit ist ein cholerischer 37-jähriger, mit dem wir, aus meiner Sicht, die gefährlichste Autofahrt auf unserer ganzen Reise erleben. Jedes zweite Wort ist „f***“ und das ist wirklich nicht übertrieben. Er fährt wie eine gesenkte Sau, 140 statt den erlaubten 90 Km/h. Als seine Frau an uns vorbeifährt ohne uns zu sehen rastet er vollkommen aus, dreht auf dem Highway um und jagt ihr mit einem Affenzahn hinterher, bis er einen Meter hinter ihrer Stoßstange die Geschwindigkeit drosselt und laut hupend und brüllend für einige Sekunden in diesem Abstand bei ca. 100 Km/h an ihrer Stoßstange klebt. Dass er von sich als einem „Gangster“ spricht, der in Whitehorse Drogen vertickt, macht die Situation auch nicht entspannter. Ich bin heilfroh, als wir endlich aussteigen und er davonfährt.

Nach drei Tagen erreichen wir schon Fairbanks, ein freundlicher Kanadier nimmt uns über die Grenze mit (mit dem unfreundlichsten Grenzoffizier, den man sich vorstellen kann) und ein Paar erlöst uns aus dem Regen. Wir haben gerade das Zelt eingerichtet und zu Abend gegessen, da kommt Elias Auto mit einem fröhlich winkenden Elias darin um die Ecke. Mit ihm werden wir die nächsten zwei Wochen unterwegs sein. Jetzt fehlt nur noch Samuel, den wir schon sehnsüchtig erwarten…

Liebe Grüße aus Alaska,

Johann und Rebecca

(Rebecca)

Ein Rundflug und der Weg nach Norden

Nach sechs sehr lehrreichen, aber nicht weniger anstrengenden Wochen auf dieser riesigen Ranch, verabschieden wir uns von Lars und den anderen. Wir werden mit Lea und Lina, einer ehemaligen Workawayerin, die für eine Woche auf Besuch da war, nach Williams Lake gefahren, wo Lars eine Überraschung für uns hat. Willams Lake ist der nächste größere Ort und liegt etwa 250Km. vom Hof entfernt. Lars älterer Sohn ist Pilot und wir dürfen mit ihm einen Rundflug machen. Zuerst wollte er uns vom Flugplatz in der Nähe vom Hof bis nach Prince George, 250 Kilometer weiter nördlich, fliegen, doch aufgrund des Wetters fiel dies flach. Im Ort werden wir auch bereits erwartet und Lea und Lina dürfen zuerst ran. Rebecca und ich warten noch im Haus und kommen eine Stunde später zum Flugplatz. Zuerst hören wir ein leises Summen aus der Ferne, dann ein immer lauter werdendes Brummen, bis wir die kleine Propellermaschine sehen, die immer näher kommt und dann vor uns landet. Der „Flughafen“ von Williams Lake besteht aus einer Lande- und Startbahn im Wald und einem kleinen Terminal. Immerhin wird Williams Lake mehrmals am Tag von Vancouver aus angeflogen. Die anderen beiden steigen strahlend aus und wir laufen zu dem auf uns wartenden Flugzeug. Uns wird alles erklärt und es gibt sogar eine Sicherheitseinweisung, in der uns eigentlich zu verstehen gegeben wird, dass sowieso nichts passiert. Rebecca nimmt hinten Platz, während ich vorne rechts sitzen darf. Insgesamt gibt es Platz für vier Leute. Dann anschnallen, Kopfhörer auf und schon geht es los. Wir hören den Funk mit und können Seabs, also dem Piloten, der genauso alt ist wie wir, Fragen stellen. Es ist sein eigenes kleines Flugzeug, das aus den 70ern stammt, aber zum Glück einen sehr guten Eindruck macht. Kaum werden wir schneller, heben wir auch schon ab. Die Landschaft unter uns bewegt sich immer weiter von uns weg, bis wir die Waldlandschaft unter uns sehen können. Es geht über Williams Lake, den großen Fraser River und über die teils hügelige, teils bergige Landschaft. Es ist wunderschön, diese weite, grüne Land, durch das sich die Täler wie Adern ziehen, unter sich zu sehen. Dann auf einmal machen wir eine scharfe Kurve, so dass das Flugzeug fast ganz auf der Seite steht. Kurz darauf werden wir von Seabs etwas gefragt, was ich aufgrund von Störgeräuschen des Kopfhörers nicht richtig verstehe. Ich nicke einfach und schon fliegen wir steil nach oben und wenige Sekunden später befinden wir uns im freien Fall…ungefähr 10 Sekunden lang! Aber selbst schuld, wenn man einfach etwas zustimmt, was man nicht verstanden hat. Und wieder wenige Minuten später fliegen wir immer tiefer und tiefer und noch tiefer über eine große Weide hinweg. Gerade so hoch wie die Spitzen der Bäume, die aus dem angrenzenden Wald ragen. Es scheint, als ob wir in einem Affenzahn über den Boden schleifen würden. Einfach klasse! Kurz bevor wir am Waldrand ankommen, gewinnen wir wieder Abstand zum Boden. Wieder in guter Höhe angekommen, fragt mich Seabs, ob ich nicht auch mal ans Steuer möchte. Natürlich möchte ich, aber trotzdem frage ich ihn nochmal, ob er das wirklich möchte. Denn ob ich ihn diesmal richtig verstanden habe, bin ich mir nicht sicher. Doch er meinte es genau so wie ich es verstanden habe und er erklärt mir das Steuer vor mir auf dem Copilotensitz. Und dann fliege ich, während ich Rebeccas skeptisch-zweiflerischen Blick im Rücken verspüre. Ich fliege nach links, dann nach rechts und nach oben und unten. Es macht riesigen Spaß! Nach ein paar Minuten lasse ich dann Seabs wieder ans Steuer und wir fliegen langsam zurück zum Flughafen, wo wir nach einer halben bis Dreiviertelstunde des Fluges landen und parken. Was für eine schöne Überraschung!!! Den restlichen Tag über kaufen wir noch ein und verbringen noch eine Nacht im Haus von Lars in der Stadt. Am folgenden Morgen werden wir von Lea noch etwa 30 Kilometer weiter zu einem See im Wald gefahren, wo wir zwei Nächte bleiben werden. Der Abschied fällt schwer und einerseits freuen wir uns auf die kommenden zwei Wochen unterwegs, doch auf der anderen Seite sind wir auch froh, dass unser nächster Hofaufenthakt bei Whitehorse im Yukon Territory nicht allzu fern ist.

Nun sind wir wieder unter uns. Das Zelt steht am Hang oberhalb von dem tiefblauen und glasklaren See. Ich stehe am Ufer und angle, während Rebecca oben liest. Ich habe gerade ein paar mal ausgeworfen, da zappelt auch schon die erste Forelle. Am Nachmittag fang ich dann noch eine, so dass es ein gutes Fischabendessen gibt. Am Tag darauf kann ich sogar eine 46 Zentimeter lange Forelle an Land ziehen! Ansonsten machen wir nicht viel. Wir spielen, lesen, angeln und essen. Die Ruhe der zweiten Nacht wird von einer Party nebenan gestört. Am Morgen setzt sich dann eine betrunkene Frau neben uns und zollt uns für unser Verhalten großen Respekt und redet von einem Ort im See, an dem alle Toten hinkommen. Wahrscheinlich hat sie nicht nur Alkohol genommen.

Mit einer Gruppe aus Alaska und einem indigenen Paar kommen wir bis Prince George. Nun stehen wir vor der Entscheidung, ob wir den Alaska-Highway in Richtung Norden oder den Steward-Cassiar nehmen, der zunächst nach Westen führt. Aufgrund der Tatsache, dass die Route in Richtung Westen weniger befahren sein soll und gleichzeitig schöner ist, entscheiden wir uns für diesen Weg, auch wenn wir die ersten 500 Kilometer auf dem Highway 16, bekannt als „Highway of Tears“, unterwegs sein werden.

Der „Highway of Tears“ erlangte traurige Bekanntheit durch die vielen verschwundenen und teilweise tot aufgefundenen Menschen, die auf dieser Strecke unterwegs waren. Seit den 70ern sind über 40 Menschen verschwunden. So gut wie alle indigen, weiblich und unterwegs per Anhalter. Zwar sind die Zahlen zurückgegangen, doch auch letztes Jahr sind drei Frauen verschwunden. Wir stellen uns am Ortsausgang von Prince George an die Straße und bereits nach wenigen Minuten hält eine junge Frau an. Indigen. Alleine. Wir werden von ihr breit angegrinst und ins Auto gebeten. Auf der Fahrt kommen wir an vielen Vermisstenschildern vorbei, auf denen die Bilder der Verschwundenen und allerhand Telefonnummern aufgedruckt sind…

Nach insgesamt vier Tagen auf dieser Strecke, von denen wir zwei an einem Fluss verbracht haben, sind wir an der Kreuzung, von der die Straße abzweigt, die uns gen Norden führen wird. Geradeaus geht es nach Prince Rupert, von wo aus man eine achtstündige Fähre zur berühmten Insel Haida Gwaii nehmen kann. Wir fahren jedoch Richtung Norden und mit unserem ersten Anhalter kommen wir bis zu einem netten See. Wir werden hier nicht nur von Moskitos aufgefressen, sondern auch von kleinen schwarzen Mücken, die schmerzende blutige Stellen hinterlassen. Wir kochen und hängen unser Essen an einen Ast, hoch genug, dass kein Bär von unten- weit genug vom Stamm weg, dass kein Bär von der Seite- und weit genug vom Ast nach unten, dass auch kein Bär von oben an unsre Tüten herankommt. Es dauert jedes mal eine gute halbe Stunde, bis wir einen guten Baum/Ast gefunden und unsere Taschen nach oben gezogen haben… Im Vergleich zu den vielen Recreation Sites (meist kostenlose Campingplätze), die es überall in British Colombia gibt, müssen wir hier unsere Sachen in den Baum hängen. Auf den Recreation Sites haben wir unsere Nahrungsmittel über Nacht entweder ins Plumpsklo oder in die bärensicheren Mülleimer gesteckt. Bärenboxen für Lebensmittel gibt es auch dort nur selten, da so wie fast alles in Kanada aufs Auto ausgelegt ist und man somit seine mobile bärensicheren Box ja sowieso dabei hat.

Wir stehen an der Straße und es riecht nach Bär. Ja, Bären haben einen recht strengen Geruch, der etwas an das Großkatzenhaus in einem Zoo erinnert. Wir sehen keinen und sind dann doch froh, dass auf der einigermaßen wenig benutzten Straße bald ein Auto hält. Darin ein indigener Mann, der gerade von seiner dreitägigen und oneway achtstündigen Einkaufsfahrt heimfährt. Er erzählt uns etwas von der indigenen Kultur, wie die Sprache und Bräuche verloren gehen, dass die verschiedenen Stämme in Clans und Häuser aufgeteilt sind und dass die Totempfähle praktisch als Geschichtsbücher dienen. Es ist sehr spannend und er beantwortet uns jede unserer (vielen) Fragen ausführlich. Wir sehen während der Fahrt mehrere Schwarzbären neben der Straße und einmal sogar eine Mutter mit zwei Jungen. Nach drei Stunden steigen wir am Eddontenajon Lake aus, wo wir die nächsten zwei Nächte bleiben werden. Der schmale, glasklare See, der in Wald und Berge eingebettet liegt, ist wunderschön. Wir haben sonniges Wetter und über 25ºC Grad. Zum Abendessen gibt es frisch gegrillte Forellen. Als wir unser Essen in die Rückseite einer Mülltonne für die Nacht stellen, treffen wir auf eine ältere Kanadierin mitte 60 und einen Deutschen in unserem Alter. Die Frau ist mit ihrem Ruderboot auf dem Weg zum Yukon, dessen zweite Hälfte sie bis zur Mündung in die Beringsee, etwa in 2-3 Monaten befahren möchte. Die erste Hälfte hat sie bereits vor ein paar Jahren geschafft. Mit Flo verbringen wir den nächsten Tag. Wir unterhalten uns, spielen, ich zeige ihm das Angeln und wir essen gemeinsam. Wir sind mit ihm noch für zwei weitere Tage zusammen, bis sich unsere Wege am ebenfalls sehr schönen Dease Lake trennen. Auf der Recreation Site am Dease Lake treffen wir dann gleich auf die nächste Reisebekanntschaft. Sein Name ist Elias, er ist 30 Jahre alt, Schweizer und möchte für zwei Jahre lang durch Nord-, Mittel- und Südamerika reisen. Also wie wir nur umgekehrt. Er hat ein eigenes Auto mit einem Dachzelt und ist insgesamt sehr gut ausgestattet. Wir werden von ihm gefragt, ob wir ein Stück mit ihm mitfahren möchten und wir bejahen. Aus einem Stück wird dann schlussendlich eine ganze Woche. Es passt einfach zwischen uns. Zudem ist Elias froh, Gesellschaft zu haben und wir sind froh, ohne warten zu müssen, weiterzukommen. Wir kommen am wunderschönen Boya Lake vorbei, der mit seinem türkisblauen Wasser und seinen vielen grünen Inseln mehr an ein Karibikparadies erinnert als an einen See umgeben von borealen Nadelwald. Mit Elias` Drohne können wir das Ausmaß dieser Perle von oben betrachten. Und der See ist einfach unglaublich. Wie viele grüne Spiegeleier liegen die Inseln verteilt in dem von schneebedeckten Bergen umgebenen See. Das Wasser an den Rändern türkisblau, zur Mitte hin immer dunkler werdend. Mit dem kleinen aufblasbaren Kajak, das uns Elias netterweise ausleiht, können wir den See ein wenig erkunden. Abends springen die Fische und ich Angel immer und immer wieder inmitten dieses Schwarmes, aber sie scheinen vollkommen auf die Mücken an der Wasseroberfläche fixiert zu sein, als dass sie sich für meine Köder interessieren würden. Das Schöne, wenn wir mit Elias unterwegs sind ist, dass er so wie wir auch, sehr an der Tierwelt interessiert ist und bei jedem Bär, Elch und Biber anhält und seine Kamera auspackt. Teilweise rennen die Bären zwar weg, wenn man versucht, neben ihnen an der Straße anzuhalten, doch einige grasen auch einfach weiter und lassen sich von nichts stören. Es sind fast nur Schwarzbären die wir sehen und der eine Grizzly ist auch so gut wie schwarz. Einmal halten wir neben einem Schwarzbären an, der sich zwar nicht direkt gestört zu fühlen scheint, aber immer weiter läuft. Wir folgen ihm bestimmt eine Stunde lang und beobachten ihn aus nächster Nähe. Schon komisch irgendwie, diese pelzigen Kugeln, die da neben der Straße stehen und fressen. Ein andermal steht ein Elch neben dem Highway, den wir einige Zeit beobachten und fotografieren können. Jedes mal wenn ein Auto vorbeifährt, rennt er in den Wald und kurze Zeit später kommt er wieder hervor. An uns, die im stehenden Auto sitzen, hat er jedoch keinerlei Interesse.

In einem kleinen Ort auf dem Alaska Highway besuchen wir den berühmten Schilderwald. Und wortwörtlich, es ist ein Wald aus Schildern. Schilder aus aller Welt. Ortsschilder, Wegweiser, Kilometerangaben, usw. Es haben sogar Ortschilder aus Esslingen und Stuttgart und Autokennzeichen aus Tübingen hierher geschafft. Mit zwischenzeitlichen Übernachtungen an einem Fluss und einem See, in dem ich zwei Hechte an die Angel bekomme, kommen wir nach Whitehorse, das mit rund 25 000 Einwohnern die Hauptstadt des Yukon Territorys bildet und Ausgangspunkt von Abenteuertourismus darstellt. Wir haben nur noch zwei Tage Zeit, bis wir auf dem Hof sein müssen, der rund 40 Kilometer außerhalb liegt. Dennoch entscheiden wir uns dafür, mit Elias noch weiter in Richtung Alaska zu fahren und zusammen im Kluane Nationalpark wandern zu gehen.

Das Wetter ist eher wechselhaft, als wir am Visior Center parken und loslaufen. Es geht einen Weg im Wald bergauf und nach wenigen Kilometern erreichen wir eine felserne Plattform, von der aus wir die umliegenden Berge, das breite Tal unter uns mit einem Bergbach und einen kleinen Teil des großen Kluane Lake sehen können. Es sieht wild aus. Wunderschön. Und was fehlt vor einer Kulisse? Ja richtig, das Schauspiel! Und dieses stellen die zwei schneeweißen Dallschafmütter mit ihren kleinen und genauso weißen Lämmern dar. Sie stehen, bzw. liegen einen Felsvorsprung weiter unten und beäugen uns interessiert. Eine Szene wie aus einem der mich immer wieder begeisternden Tierdokus, die ich als Kind geschaut habe. Wir steigen immer weiter nach oben, bis wir irgendwann den höchsten Punkt erreichen, an dem wir dann behagelt werden. Auf dem Rückweg verabreden wir uns noch mit einem älteren Paar für den nächsten Tag, die uns wieder zurück nach Whitehorse nehmen können. Ein perfekter Tag, den wir mit Elias am Ufer des Kluane Lake mit Feuer, gutem Essen und guten Gesprächen bis spät in die Nacht ausklingen lassen. Wobei man von Nacht seit zwei Wochen kaum mehr sprechen kann. Die Sonne geht hier zurzeit um halb zwölf unter und um halb fünf wieder auf. So richtig dunkel wird es nicht mehr.

Am nächsten Morgen ist es an der Zeit von Elias Abschied zu nehmen. Es war eine intensive, ganz andere Reisewoche für uns als wir bisher hatten. Es war eine ganz neue Erfahrung, mit jemandem anders als nur zu zweit unterwegs zu sein und wir haben es genossen. Nicht weil es bequemer war. Das war es natürlich auch. Wir standen eine Woche lang nicht an der Straße, wurden trotzdem mitgenommen, durften unsere Essenssachen über Nacht im Auto lassen, wir haben zusammen auf Elias Kocher (mit zwei Platten!) viel Leckeres gekocht, haben in seinem Backofen Brot gebacken, durften selbst Auto fahren und mitentscheiden wo es hingeht, haben die Zeit gehabt, Wildtiere zu bewundern und durften sogar eine Nacht in Elias‘ Dachzelt Probeschlafen. Aber es ist bei Weitem nicht das, weshalb es so schön war. Es war so schön weil wir in Elias jemanden bei uns hatten, mit dem man über so vieles reden, sich über so vieles austauschen konnte, der vollstes Vertrauen zu uns, und in den auch wir volles Vertrauen hatten, mit dem man Scherze machen und herzlich lachen konnte. Wir haben in dieser einen kurzen Woche einen Freund gefunden, den wir ganz bestimmt wiedersehen werden!

…doch vorerst trennen sich unsere Wege. Elias macht sich auf den Weg nach Alaska, wir kehren nach Whitehorse zurück, wo wir uns mit Gail treffen, die uns mit zu ihrem Hof nimmt, auf dem wir die nächsten sechs Wochen verbringen werden…

Bis bald und liebe Grüße,

Rebecca und Johann

(Johann)